Im Kanton Graubünden können Zivildienstleistende, die den Militärdienst verweigert haben, neu Zivilschutz leisten. Ein Pilotprojekt lässt die beiden Institutionen erstmals eng zusammenarbeiten. SRF-Inlandredakor Tobias Gasser beantwortet die wichtigsten Fragen.
Tobias Gasser
Inlandredaktor
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Seit 2005 arbeitet Tobias Gasser bei SRF, zuerst bei «10vor10» und «Tagesschau». Ab 2011 war er Produzent beim «Echo der Zeit» und ist seit 2019 Inlandredaktor bei Radio SRF.
Was will der Kanton Graubünden mit dem Pilotprojekt erreichen?
Bei Notlagen, Katastrophen oder kriegerischen Ereignissen sollen diese Zivildienstleistenden als Zivilschutz-Sanitäter zum Einsatz kommen. Sie sollen medizinische Erste Hilfe leisten, eine Sanitätshilfestelle betreiben und das professionelle Sanitätspersonal des Gesundheitswesens entlasten. Die Zivildienstleistenden im Zivilschutz erhalten die gleiche Ausbildung wie die Zivilschützer.
Dieser «Zivi»-Zug soll zum Einsatz kommen, wenn ein Einsatz länger dauert. Weil Zivildienstleistende längere Einsätze leisten können als Zivilschützerinnen und Zivilschützer, kann so die Durchhaltefähigkeit in einer Notlage erhöht werden.
Das sind die Unterschiede zwischen den beiden Dienstformen
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Zivildienst leistet, wer den bewaffneten Militärdienst mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Zivilschutz leistet, wer aus gesundheitlichen Gründen nicht militärdiensttauglich ist. Die Verantwortung für den Zivildienst liegt beim Bund. Aktuell sind gegen 60'000 Personen zivildienstpflichtig, rund die Hälfte hat sämtliche Diensttage absolviert. Täglich stehen 4500 «Zivis» schweizweit im Einsatz.
Für den Zivilschutz sind die Kantone zuständig. Der Bestand beträgt etwas über 70'000 Personen. Der Zivilschutz ist in Einsatzformationen gegliedert, hierarchisch (ähnlich wie das Militär) organisiert. Er kommt bei Katastrophen und Notlagen zum Einsatz als zweites Einsatzinstrument nach der Feuerwehr, Polizei und den Sanitäterinnen und Sanitätern des Gesundheitswesens. Zivilschützerinnen – es gibt wenige Frauen, die freiwillig Zivilschutz leisten – und Zivilschützer sind Milizpersonen und werden bei einem Einsatz aus ihrem Berufsleben gerissen.
Der Zivildienst ist keine schnell abrufbare Einsatzorganisation. «Zivis» leisten ihren Dienst in längeren, mehrwöchigen Einsätzen zum Beispiel in Spitälern, Altersheimen, in Umweltprojekten oder auf einem Bergbauernbetrieb. Das Zivildienstgesetz sieht auch Einsätze bei Notlagen und Katastrophen vor. So haben kürzlich 140 Zivildienstleistende kurzfristig im Auftrag des Staatssekretariates für Migration Betreuungsaufgaben in Asylzentren übernommen. Auch während der Corona-Pandemie haben Zivildienstleistende Einsätze im Gesundheitswesen geleistet.
Der Vorteil des Zivildienstes ist es, dass mehrwöchige Einsätze Pflicht sind. Viele Zivildienstleistende sind jung, noch in Ausbildung, flexibel und können längere Einsätze leisten. Als drittes Element in einer Notlage können sie so die Durchhaltefähigkeit erhöhen und bei Aufräumarbeit helfen (Regeneration).
Wie entstand dieses Pilotprojekt?
Gemäss Armin Gartmann, Leiter Zivilschutz im Kanton Graubünden, entstand die Idee während der Pandemie. Der Zivilschutz wurde im Gesundheitswesen eingesetzt. Bald entstanden aber Ressourcenprobleme, weil für Einsätze Zivilschützerinnen und Zivilschützer aus dem Berufs- und Familienleben gerissen werden mussten. So entstand die Idee, Zivildienstleistende als Zivilschutz-Sanitäter auszubilden. Damit dies möglich wurde, hat sich der Zivilschutz Graubünden als Einsatzbetrieb des Zivildienstes akkreditieren lassen.
Wieso greift der Zivilschutz auf den Zivildienst zurück?
Zum einen hat der Zivilschutz Interesse, bei längeren Notlagen einsatzfähig zu bleiben. Zum anderen klagt der Zivilschutz generell über Bestandsprobleme. Mit dem Inkrafttreten des neuen Zivilschutzgesetzes hat sich die Dienstdauer von 20 auf 14 Jahre verkürzt. Für Graubünden bedeutet dies: ab 2025 verliert der Zivilschutz rund ein Drittel seiner 2400 Angehörigen. Zivilschutzorganisationen sehen darum in den «Zivis» ein Potenzial, ihre Lücken zu schliessen.
Wie sieht die erste Bilanz aus?
Die erste Ausbildungsrunde sei ein Erfolg gewesen, sagt Armin Gartmann, Leiter Zivilschutz im Kanton Graubünden. Die Zivildienstleistenden seien hoch motiviert. Kritischer sieht er die Rekrutierung. Erst drei Personen haben sich zum Sanitäter ausbilden lassen. Es brauche mehr Freiwillige, um das Ziel von 20 Zivildienstleistenden zu erreichen.
Zu den bereits ausgebildeten «Zivis» gehört Fabrizio Reich. Der Einsatz des Zivilschutzes 2017 nach dem Felssturz in Bondo sei ihm positiv aufgefallen. Obwohl er sich bewusst gegen den Militärdienst entschieden habe, störe er sich nicht an den militärischen Hierarchien des Zivilschutzes.
Wieso ist dieses Projekt auch politisch interessant?
Seit längerem diskutiert die Politik, den Zivildienst und Zivilschutz anzunähern oder gar zusammenzulegen. Der Nationalrat sprach sich am Donnerstag gegen die sofortige Zusammenlegung aus.
Keine sofortige Fusion von Zivilschutz und Zivildienst
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Der Nationalrat macht dem Bundesrat keine Vorgaben bei der Organisation von Zivilschutz und Zivildienst. Er hat eine Motion seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-N) abgelehnt, welche die schnellstmögliche Zusammenlegung forderte. Die grosse Kammer fällte ihren Entscheid mit 96 zu 83 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Der Vorstoss ist damit vom Tisch.
Die SIK-N begründete ihre Motion damit, dass vielerorts die Bestände beim Zivilschutz schrumpften. Mehrere Kantone bekundeten Schwierigkeiten und seien beunruhigt. Es gebe zu viele Abgänge aus der Armee in den Zivildienst, was dem Zivilschutz schade.
Der Bundesrat bestritt das Problem nicht, wollte aber zunächst die laufenden Abklärungen zur Zukunft der Dienstpflicht abschliessen. Auch in diesem Kontext werde eine Zusammenlegung geprüft. Beispielsweise bei der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen und zu den Kosten gebe es noch viele offene Fragen. Die Vorstellungen gingen stark auseinander.
So möchte der Bundesrat Zivildienstleistende in Regionen, wo der Zivilschutz einen Unterbestand hat, verpflichten, Zivilschutz leisten zu müssen. Längerfristig prüft der Bundesrat eine neue Katastrophenschutzorganisation, die Zivilschutz, Zivildienst und Teile der Armee umfasst. Die bürgerlichen Parteien haben bereits Sympathien für diese neue «Sicherheitsdienstpflicht» geäussert. Die Linke kritisiert, eine solche neue Katastrophenschutzorganisation im VBS würde den Zivildienst schwächen.
Pilotprojekt gibt beiden Seiten Argumente
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Mit diesem Pilotprojekt im Kanton Graubünden finden beide Seiten Argumente für ihre jeweilige Position. Bürgerliche können sagen, ein Zusammengehen würde einen Mehrwert bringen. Links kann argumentieren, die bestehenden gesetzlichen Grundlagen würden bereits eine Annäherung erlauben. Eine weitergehende Fusion sei unnötig.
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