Wer heutzutage in Untersuchungshaft ist, erlebt die strengsten Haftbedingungen der Schweiz. Ein hoher Grad an Isolation innerhalb des Gefängnisses und wenige Kontakte zur Aussenwelt.
Gerade Letzteres hat auch einen Grund. Man will verhindern, dass die Verdächtigen etwa Absprachen treffen, Zeuginnen und Zeugen manipulieren oder Opfer kontaktieren. Kurz: Die Justiz will verhindern, dass der spätere Gerichtsprozess beeinflusst wird.
Haftschäden minimieren – Wiedereingliederung fördern
Bei strengen Bedingungen besteht aber das Risiko von Haftschäden. Dagegen wollen die Kantone Bern und Zürich schon länger etwas machen. Bereits heute können sich die Betroffenen in Untersuchungshaft bis zu acht Stunden frei bewegen, Sport machen oder arbeiten.
«Wir wollen inhaftierte Personen gezielt darin unterstützen, ihre vorhandenen Ressourcen – etwa den Beruf, die Wohnung oder die Beziehungen – zu erhalten», sagt Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Zürcher Justizdirektion, in einer Medienmitteilung.
So würden sie die Voraussetzung für die spätere Wiedereingliederung verbessern. «Die persönlichen Fähigkeiten der Verdächtigen sollen so gut wie möglich erhalten bleiben», so der Berner Regierungspräsident Philippe Müller.
Die Inhaftierten sollen etwa die Möglichkeit erhalten, ihren Alltag selbstständig zu strukturieren und mehr Eigenverantwortung übernehmen. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Stress- und Problembewältigung.
Es ist sehr sinnvoll, dass die beiden grössten Kantone die U-Haft neu gestalten wollen.
Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger findet das Pilotprojekt eine gute Sache: «Es ist sehr sinnvoll, dass die beiden grössten Deutschschweizer Kantone eine Neuausgestaltung der U-Haft erproben wollen.»
«Das führt auch immer wieder zu Kritik», zum Beispiel an den langen Isolationszeiten. Das Interesse an der Isolation zum Schutz des Verfahrens sei zwar legitim, aber: «Die Frage ist, wie lange soll und kann eine solche Isolierung dauern.» so Brägger.
Eine zu lange und zu strikte Isolation führe zu physischen und psychischen Schäden. Wichtig sei auch, dass bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft wichtige Fragen geklärt seien, sagt Brägger: «Hat die Person ein Dach über dem Kopf, wo geht sie hin, hat sie finanzielle Möglichkeiten oder hat sie wegen der U-Haft den Job verloren?»
Kosten und Personal sind die begrenzenden Faktoren
Auch wenn es nach der Untersuchungshaft direkt in den Strafvollzug gehe, sei es wichtig, dass die Informationen für die Wiedereingliederung schon gesammelt und weitergegeben würden.
Allerdings brauche die offenere U-Haft auch mehr personelle Ressourcen, sagt Brägger und gibt zu bedenken: «Mit dem heutigen Personalbestand ist das nicht umsetzbar.»
«Es stellt sich die Frage: Können die Kantone das neue Regime überall anbieten und haben sie die finanziellen Möglichkeiten.» Denn viele Untersuchungsgefängnisse seien veraltet und ein moderner Haftvollzug deshalb gar nicht möglich.
Das Strafverfahren ist Bundesaufgabe. Er muss die Kantone finanziell unterstützten.
Brägger regt deshalb an, dass sich auch der Bund finanziell beteiligen soll. «Seit 2011 ist das Strafverfahren eine Bundesaufgabe, auch U-Haft und Sicherheitshaft sind keine kantonalen Haften mehr.» Deshalb müsse der Bund die Kantone unterstützen.
Im Fall von Zürich und Bern macht er das. Das gesamte Projekt kostet 12,8 Millionen Franken, der Anteil für den Kanton Zürich beträgt rund 5 Millionen Franken bis 2027. Davon bezahlt der Bund 2.8 Millionen Franken.