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Politik des Wegschauens Bundesräte wollten im Kalten Krieg vieles nicht wissen

Ist es glaubwürdig, wenn Ex-Bundesräte sagen, sie hätten über die Vorgänge bei der Crypto AG nichts gewusst? Laut einem Historiker war es während des Kalten Krieges gängige Praxis, dass Regierungsmitglieder nicht wussten, was bei den Geheimdiensten vor sich ging. Sie fragten auch bewusst nicht nach.

Jahrzehntelang ist die Zuger Crypto AG von ausländischen Geheimdiensten gesteuert worden. Das zeigten die Recherchen von «Rundschau», der «Washington Post» und dem ZDF.

Laut den Dokumenten des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA wussten auch Schweizer Politiker Bescheid. So habe FDP-Bundesrat Kaspar Villiger gewusst, was bei der Crypto AG vor sich ging – was Villiger aber vehement bestreitet. Am Samstag doppelte er in einer neuen Stellungnahme nach: «Es bleibt dabei: Ich war nicht eingeweiht und hätte Vorkommnisse dieser Art auf jeden Fall im Bundesrat zur Sprache gebracht.»

«Politik des Nichtwissens»

Historiker Thomas Buomberger hält es für möglich, dass Villiger und andere Bundesräte tatsächlich nicht eingeweiht waren – oder zumindest nicht vollumfänglich.

Buomberger hat ein Buch zur Schweiz im Kalten Krieg verfasst, das als Standardwerk gilt. «Während des Kalten Kriegs war es gängige Praxis, dass die Bundesräte über heikle Vorkommnisse im Nachrichtendienst nicht im Detail informiert wurden», erklärt Buomberger. Der Historiker spricht von einer Politik des Nichtwissen-Wollens. «So konnten sich die Bundesräte auch aus der Schusslinie nehmen».

Bundesräte wussten nichts von einer «Geheimarmee»

Anfang der 90er-Jahre flog die sogenannte «Geheimarmee» P-26 auf. Die Kaderorganisation trainierte den Widerstand, wäre die Schweiz von der Sowjetunion besetzt worden. 1990 wurden die Vorgänge rund um die P-26 von einer Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK aufgearbeitet. Mittendrin der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger, der nicht vollumfänglich über die Kaderorganisation informiert war.

1990 stellte der damalige PUK-Präsident Carlo Schmid fest: Die Departementsvorsteher, also die Bundesräte, hätten nichts über die Vorgänge wissen wollen und seien auch nicht informiert worden: Die Bundesräte hätten nicht «à tout prix» darauf gedrängt, weitere Informationen zu erhalten, resumierte der damalige PUK-Präsident. Der heute 70-jährige Schmid lässt gegenüber SRF ausrichten, er halte es für möglich, dass diese Politik des Nichtwissens auch beim Fall Crypto AG mitspiele.

Für Historiker Thomas Buomberger ist die Politik des Nichtwissens und Nichtwissen-Wollens unverantwortlich. «Letztlich hat der Bundesrat die Gesamtverantwortung, über alles, was in seinem Departement läuft», meint Buomberger «da kann er sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen».

Hätten weitere Bundesräte Bescheid wissen müssen?

Laut Medienberichten vom Wochenende soll auch der ehemalige Justizminister und CVP-Bundesrat Arnold Koller zu den mutmasslichen Mitwissern zählen. Er war im Amt, als die Bundespolizei ersten Verdächtigungen gegen die Crypto AG nachging.

Und auch Jean-Pascal Delamuraz (FDP) und Flavio Cotti (CVP) seien in den 90er-Jahren von einem Crypto AG-Mitarbeiter über die Machenschaften des Zuger Unternehmens informiert worden. Diese Bundesräte waren entweder nicht erreichbar für eine Stellungnahme oder erinnern sich nicht daran, Genaueres über die Vorgänge bei der Crypto AG gewusst zu haben.

«Tagesschau», 17.02.2020, 19.30 Uhr; bers

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