Um 19 Uhr am Donnerstagabend würde sie starten, die letzte Sitzung des Oltner Stadtparlaments im Jahr 2020. Doch sie wurde nur einen Tag vorher kurzfristig abgesagt. Offiziell deshalb, weil das Parlament der grössten Stadt im Kanton Solothurn nicht beschlussfähig ist.
Damit das Parlament gültige Entscheide fällen kann, müssen zwei Drittel der gewählten Mitglieder auch anwesend sein. Doch: 17 der 40 Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben sich für die Sitzung am Donnerstagabend entschuldigt. Also fast die Hälfte des Parlaments.
Angst vor Ansteckung vor den Feiertagen
Einer von ihnen ist Raphael Schär, Fraktionschef der Grünen. Er habe sich «aus persönlichen Gründen» abgemeldet, sagt er gegenüber SRF. «Erstens wohne ich im gleichen Haus wie Menschen aus der Risikogruppe, zweitens möchte ich gerne in einer Woche im engen Kreis mit meiner Familie Weihnachten feiern und drittens heisst es generell, man solle möglichst wenig Menschen treffen.»
Ich möchte gerne Weihnachten feiern.
Die Parlamentssitzung sei ein Risiko, finden Schär und 16 weitere Oltner Lokalpolitikerinnen also, vor allem aus linken Parteien. Zudem stünden eher zweitrangige Geschäfte auf der Traktandenliste – Dinge, die man auch im nächsten Jahr noch behandeln könne, finden sie.
Unverständnis beim Ratspräsidium
Vor allem bürgerliche Politikerinnen und Politiker wollten die Sitzung am Abend durchführen. Urs Knapp von der FDP hat zwar Verständnis für die Angst vor dem Virus. Aber: «Es gibt auch eine Verantwortung als Parlamentarier. Und im Frühling sagten ja viele, es sei schade, dass sich die Parlamente nicht über wichtige Fragen äussern können. Aus diesem Grund hat der Bundesrat Parlamentssitzungen explizit erlaubt.»
Parlamentarier haben eine Verantwortung.
Tatsächlich tagen aktuell nicht nur National- und Ständerat. Auch der Solothurner Kantonsrat hat in dieser Woche Sitzungen abgehalten. Mit gebührendem Abstand zwischen den Sesseln der Politikerinnen und Politiker. Auch das Oltner Gemeindeparlament tagt seit dem Frühling in einem grösseren Konferenzsaal eines Hotels – so war es auch für die letzte Sitzung geplant.
Ist Politik wichtig genug?
Parlamentspräsident Philippe Ruef ist denn auch überrumpelt vom «Sitzungsboykott». Man habe die Frage in der zuständigen Kommission mehrmals besprochen, erklärt er. Und auch die Vertretungen der linken Parteien hätten sich explizit für die Durchführung ausgesprochen. «Es ist suboptimal, dass sich nun so viele Mitglieder weigern, vor allem so kurzfristig», sagt er hörbar verärgert gegenüber SRF.
In Olten findet nun also keine Parlamentssitzung statt, obwohl solche Sessionen erlaubt wären. Weil sich einige der Politikerinnen und Politiker offenbar für zu wenig «systemrelevant» halten, als dass sie ein Risiko eingehen möchten. Aber auch in diesem Bereich herrscht offensichtlich «Kantönligeist» oder sogar «Städtligeist». Denn nur knapp 50 Kilometer von Olten entfernt – in der zweitgrössten Aargauer Gemeinde Wettingen – trifft sich das Parlament am Donnerstagabend, trotz Corona und bevorstehender Weihnachtstage.