Wenn Deutschschweizer von Deutschland als dem «grossen Kanton» sprechen, ist dies ambivalent: Da schwingen teils Sympathien teils auch Übermachtsängste mit. Landesweit sind Deutsche mit fast 330'000 Einwohnerinnen und Einwohnern – knapp hinter Italienern – die zweitgrösste Gruppe unter der ausländischen Wohnbevölkerung.
Viele leben schon länger hier und möchten auch den roten Pass: Letztes Jahr liessen sich gut 8200 Deutsche einbürgern. Auffällig wenige Deutsche sind jedoch in Kantonsparlamenten aktiv, selbst in Grenzkantonen.
In Basel reicht die Agglo nahtlos über die Landesgrenze, und im baselstädtischen Grossen Rat wird Hochdeutsch gesprochen. Wer auf Deutsch ohne Dialektklang debattiert, fällt dennoch auf.
Zu direkt und forsch kommt schlecht an
So geht es auch Franziska Stier, die seit 15 Jahren in Basel lebt und sich vor drei Jahren hat einbürgern lassen. Sie ist gerade ins kantonale Parlament nachgerückt für die Linkspartei BastA! und dosiert ihre Muttersprache gezielt: «Ich frage mich manchmal schon, wieviel Konjunktiv ist nötig, um niemandem auf den Schlips zu treten.»
Dass sie nicht zu direkt auftritt, liegt auch an Erfahrungen: Als sie als Gewerkschafterin im Lokalfernsehen auftrat, rief ein Zuschauer an und wies sie live zurecht, sie solle sich um Dinge in Deutschland kümmern. Später bekam sie per Brief sogar eine Morddrohung.
Da ist bei einigen einer Fraktion der Rollladen runtergegangen.
Nebenan im Baselbieter Parlament, das auf Dialekt diskutiert, ist Mitte-Landrätin Beatrix von Sury die einzige hochdeutsche Stimme. Von Sury lebt seit 20 Jahren in der Schweiz und ist seit 8 Jahren im Landrat. Ihr erstes Votum sei teils schlecht angekommen: «Da ist bei einigen einer Fraktion der Rollladen runtergegangen. Das war sehr schon frappant.»
Auch in anderen Schweizer Kantonsparlamenten hat es meist nur eine hochdeutsche Stimme. Keine Überraschung ist dies für Matthias Estermann, Präsident des Vereins Deutsche in der Schweiz. Er kenne viele Deutsche in der Schweiz, doch von jenen strebe niemand eine politische Karriere an.
Vielleicht rechnen sie sich wenig Wahlchancen aus: «Der Deutsche ist ja nicht unbedingt mega beliebt in der Schweiz, wenn er mit seinem Hochdeutsch ankommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich manche sagen: Ich krieg ja sowieso nicht genug Stimmen, wenn ich auf Hochdeutsch anfange.»
Solidarität unter Eingebürgerten
Der Politologe Nenad Stojanovic analysierte die Nationalratswahlen 2015 zur Frage, ob Kandidierende mit einem ausländischen Namen einen Nachteil haben. «Man wird häufiger gestrichen und weniger häufig panaschiert und kumuliert, wenn man einen nicht typisch schweizerischen Nachnamen hat.»
Beim Panaschieren und Kumulieren kämen deutsche Namen nicht nur schlechter weg als Schweizer Namen, hat er festgestellt: Deutsche schnitten da sogar schlechter ab als Kandidierende aus nichtwestlichen Staaten, namentlich aus Ex-Jugoslawien und der Türkei.
Das liege wohl an der Solidarität von Eingebürgerten aus den entsprechenden Ländern, die Stimmen brächte, erklärt Stojanovic. Bei eingebürgerten Deutschen sehe er diese nicht.
Einen weiteren Grund nennt Matthias Estermann vom Verein für Deutsche in der Schweiz: Im Gegensatz zu anderen Einwanderungsgruppen in der Schweiz hätten viele eingebürgerte Deutsche nicht das Bedürfnis, etwas zu verändern. Er sagt: «Ich fühle mich ja wohl; ich muss ja die Politik nicht ändern. Mir gefällt das ja eigentlich, was da läuft.»