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Polizei stösst an Grenzen Ein Medikament beunruhigt Berner Behörden

In Bern konsumieren Asylsuchende grosse Mengen des Schmerzmittels Pregabalin. Die Folgen: Die Polizei ist überfordert.

Die kleine Schanze in Bern bietet beste Aussicht, ist direkt neben dem Bundeshaus gelegen und – sie ist ein beliebter Drogenumschlagplatz, schon seit längerer Zeit. Nun sorgt aber ein neues Rauschmittel für Unruhe in der Szene und beunruhigt Behörden und Expertinnen: Pregabalin.

Eine Allee mit Bänken und Spaziergängern.
Legende: Ob Cannabis, Kokain oder Pregabalin: Wer in der Stadt Bern Rauschmittel sucht, bekommt sie unter anderem auf der kleinen Schanze. SRF/Schweiz Aktuell

Pregabalin ist ein Medikament zur Behandlung von Epilepsie, Angstzuständen und Nervenschmerzen. Bei korrekter Anwendung macht es keine Probleme. Doch: Zu hoch dosiert, wirkt es berauschend, euphorisierend und macht vor allem abhängig. Wer zu viel konsumiert oder auf Entzug ist, wird rasch aggressiv. Und hier beginnt für die Stadt Bern das Problem.

Asylsuchende unter Medikamenteneinfluss

Denn: Pregabalin wird immer häufiger von Asylsuchenden aus nordafrikanischen Ländern konsumiert. Dies führt dazu, dass diese sich vermehrt aggressiv verhalten. Die Kantonspolizei bestätigt gegenüber SRF, dass sie auf der kleinen Schanze schon mehrfach einschreiten musste und Pregabalin sicherstellte.

Diese Beobachtung hat auch Silvio Flückiger, Leiter der Berner Interventionsgruppe Pinto, gemacht. Er schaut auf der kleinen Schanze regelmässig zum Rechten. «Manche sind euphorisiert, andere sind abwesend, aber wenn man sie anspricht, werden sie plötzlich aggressiv.»

Eine Packung mit Kapseln.
Legende: Anders als in der Schweiz ist Pregabalin in den nordafrikanischen Herkunftsländern der Asylsuchenden ohne Rezept verfügbar. SRF/Schweiz Aktuell

Mit dieser Unberechenbarkeit umzugehen, sei schwierig – und mitunter auch gefährlich. Die meisten Personen, mit denen Flückiger zu tun hat, tragen nämlich ein Messer auf sich. «Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass sie dieses zücken», sagt er. Zweimal sei ihm das schon passiert. Vermutlich, weil die Betroffenen «auf dem Aff» waren, wie Flückiger sagt, also unter Entzugserscheinungen litten.

Das fährt ein wie Koks, geht direkt in den Kopf.
Autor: Asylsuchender und Pregabalin-Konsument

Ein Asylsuchender, den SRF auf der kleinen Schanze trifft, beschreibt die Entzugserscheinung so: «Wenn ich zwei Tage keine Kapsel habe, dann werde ich unruhig und traurig.» Das Pulver in den Kapseln werde geschnupft. «Das fährt ein wie Koks, geht direkt in den Kopf.»

Aus Frankreich geschmuggelt

Pregabalin ist rezeptpflichtig. In Asylzentren werde es jedoch seit Kurzem nicht mehr abgegeben, sagt Samuel Wyss, Sprecher des Staatssekretariats für Migration, gegenüber SRF – eben weil es abhängig macht. «Wir haben festgestellt, dass Personen, welche keinen Zugang zu diesen Medikamenten hatten, sehr aggressiv wurden. Ausserdem wurde innerhalb und ausserhalb der Zentren damit gedealt.»

Pregabalin – das sagt der Psychiater

Box aufklappen Box zuklappen

Philipp Pfeifer ist ärztlicher Leiter des Zentrums Suchtpsychiatrie bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern und sagt über Pregabalin:

  • «Asylsuchende konsumieren Pregabalin oft, weil sie das Medikament aus ihrer Heimat kennen. In nordafrikanischen Ländern wird das Medikament als Freizeitdroge konsumiert und macht abhängig.»
  • «Pregabalin verstärkt die Grundbefindlichkeit. Eigentlich wirkt es entspannend, aber wenn jemand angespannt ist, kann es die Anspannung auch verstärken.»
  • «Pregabalin wird nur Personen verschrieben, bei denen eine dokumentierte medizinische Vorbehandlung erfolgt ist.»

Ganz so einfach kommt man heute also nicht mehr zu Pregabalin, das Medikament ist rezeptpflichtig. Und trotzdem ist es im Umlauf. Das schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic schreibt auf Anfrage, man habe bei Kontrollen festgestellt, dass ein grosser Teil des Pregabalins aus Frankreich oder Nordafrika in die Schweiz geschmuggelt werde.

Asylverfahren priorisieren

Nun – wer Rauschmittel konsumiert, braucht Geld. Und dieses beschaffen sich Asylsuchende meist illegal. Davon zeugt auch die Kriminalstatistik der Kantonspolizei Bern: 2023 gab es deutlich mehr Diebstähle, Einbrüche und Gewalt, vor allem rund um den Berner Bahnhof.

Was also tun? Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause findet dafür klare Worte: «Wir müssen die Asylverfahren dieser Menschen priorisieren. Es braucht schnelle Entscheide. Und sind diese gefällt, müssen wir die Betroffenen ausschaffen.» Dafür müssten jedoch die Stadt, der Kanton und der Bund zusammenarbeiten.

Regionaljournal Bern, Freiburg, Wallis, 05.04.2024, 17:30 Uhr ; 

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