Die Erfassung der genauen Corona-Lage ist äusserst komplex und trotz steigendem Wissensstand über das Virus ist noch viel unbekannt. Ein oft genannter Wert ist die so genannte Positivitätsrate, also der Anteil positiver Tests. Isoliert sage der Wert aber kaum mehr aus als die blanken Fallzahlen, erklärt Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel.
SRF News: Wir haben einfach mehr Fälle, weil auch mehr getestet wird. Stimmt das?
Katrin Zöfel: Die Idee liegt auf der Hand, sich so rauszureden. Es wäre ja schön, wenn der Anstieg der Coronazahlen nur mit der intensivierten Testaktivität zu erklären wäre. Zahlenmässig werden tatsächlich mehr Tests gemacht als noch vor ein paar Wochen. Deshalb findet man auch mehr Fälle. Aber es sind nicht so viel mehr Tests, und doch steigen die Zahlen merklich von Woche zu Woche. Es ist klar. Das Virus breitet sich wieder stärker aus.
Am Anfang der Pandemie wurden nur Risikogruppen und schwere Fälle getestet. Mittlerweile wird bei fast allen auch mit leichten Symptomen ein Abstrich gemacht. Lassen sich die Zahlen überhaupt noch vergleichen?
Die Zahlen vom Frühjahr lassen sich tatsächlich nicht so einfach mit jenen von heute vergleichen. Es ist zum Beispiel klar, dass die Dunkelziffer damals viel höher war und die realen Zahlen damit auch höher waren als die gemessenen. Entsprechend ist die Dunkelziffer jetzt niedriger. Aber es ist auch klar, dass man nach wie vor viele Fälle übersieht. Denn auch wenn jetzt viele, die es wollen, einen Test bekommen, gibt es immer noch viele da draussen, die gar nicht zum Test aufgefordert werden und auch nicht von sich aus zum Test gehen.
Neben den Fallzahlen wird gerne die die Positivitätsrate herangezogen. Vor zwei Monaten lag sie noch bei unter einem Prozent, aktuell bei über 3 Prozent. Ist sie ein geeignetes Mittel zur Lagebeurteilung?
Die Positivitätsrate ist ein weiteres Indiz. Sie sagt vor allem etwas darüber aus, wie gut man das Geschehen mit der aktuellen Teststrategie abbildet. Eine hohe Positivitätsrate deutet darauf hin, dass man mehr Fälle übersieht. Bei einer niedrigen Rate ist das Bild, dass die Fallzahlen abbildet, genauer. Laut WHO ist das Bild bis zu einer Rate von fünf Prozent korrekt. Die Schweiz lag im Früjahr über diesem Wert, momentan liegt sie darunter.
Für sich allein genommen ist auch die Positivitätsrate nicht unbedingt aussagekräftiger als die blanken Fallzahlen. Eine Zahl, die ich in der jetzigen Lage aussagekräftig und wichtig finde, ist die Verdoppelungszeit. Also der Zeitraum, den es braucht, bis aus 100 Fällen 200 Fälle werden. Im März dauerte es dafür nur Tage, momentan sind es drei Wochen. Das spricht dafür, dass die Situation jetzt noch nicht so dynamisch ist.
Das Gespräch führte Valerie Wacker.