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Präimplantationsdiagnostik Ja zu Embryonentests im Reagenzglas

Im Reagenzglas gezeugte Embryonen dürfen künftig auch in der Schweiz auf gewisse Krankheiten untersucht werden. Der Nationalrat will aber weiter gehen als die kleine Kammer und auch Chromosomentests zulassen. Eine klare Absage gab es an «Retterbabys» zur Blutstammzellenspende für kranke Geschwister.

Wie liberal soll das künftige Fortpflanzungsmedizingesetz ausfallen? Im Nationalrat war insgesamt unbestritten, dass kinderlose Paare im Rahmen der künstlichen Befruchtung mit einer modernen Präimplantationsdiagnostik (PID) unterstützt werden sollen.

Der Nationalrat ging allerdings in einem zentralen Punkt weiter als Bundesrat und Ständerat, welche die PID nur für Paare zulassen wollen, bei welchen eine Veranlagung für schwere Erbkrankheiten wie Zystische Fibrose oder Muskelschwund bekannt ist. Das wären 50 bis 100 Personen pro Jahr.

Auch auf «Down-Syndrom» soll getestet werden dürfen

Die grosse Kammer hingegen ist ihrer Wissenschaftskommission mit 119 zu 65 Stimmen bei sechs Enthaltungen gefolgt und will auch die Untersuchung von in vitro gezeugten Embryos auf numerische Chromosomenstörungen zulassen. Dieses so genannte Aneuploidie-Screening würde es erlauben, Embryos mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) auszusondern. Solche Tests könnten alle Paare durchführen lassen, die auf eine künstliche Befruchtung zurückgreifen. Das sind über 6000 pro Jahr.

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Die Befürworter verwiesen auf das Selbstbestimmungsrecht der Eltern. François Steiert (SP/FR) warnte davor, dass Paare ins Ausland ausweichen könnten, um die Tests durchzuführen. Zudem bestehe die Gefahr, dass ungeborene Kinder mit einer Chromosomenstörung abgetrieben würden.

Embryo-Selektion oder Chance auf Leben in Gesundheit?

Für Christine Buillard (CVP/FR) sind mit dem Chromosomen-Screening die Grenzen zur Embryo-Selektion und zur Eugenik überschritten. Zudem hätten die Eltern keine echte Wahl, weil niemand ein Kind mit einer Chromosomenabweichung wähle, wenn er ein gesundes haben könne.

Für Fathi Derder (FDP/VD) geht es nicht um das Recht auf ein gesundes Kind, sondern darum, dem Kind die Chance auf ein Leben in Gesundheit zu geben. Auch die SVP stimmte dem Aneuploidie-Screening zu: Ohne dieses mache die ganze Vorlage wenig Sinn, sagte Christoph Mörgeli (ZH).

Mörgeli erinnerte auch daran, dass die Methode nicht nur die Chancen erhöhe, ein gesundes Kind zu bekommen, sondern überhaupt ein Kind zu bekommen. Embryonen mit Chromosomenstörungen führen nämlich wesentlich seltener zu einer erfolgreichen Schwangerschaft als gesunde. Wiederholte Behandlungszyklen oder gar Fehlgeburten sind die Folge.

Embryo im Reagenzglas
Legende: Fortpflanzungsmedizingesetz: «Retterbabys» oder «Bébé-médicament» gehen dem Nationalrat zu weit. Reuters

Klare Absage Absage an «Retterbabys»

Ein klares Veto legte die grosse Kammer bei der Frage der «Retterbabys» ein. Mit der HLA-Typisierung können im Reagenzglas gezeugte Embryos vor der Einpflanzung in den Mutterleib darauf untersucht werden, ob sie immunkompatibel mit einem erkrankten Geschwister sind und diesem beispielsweise mit einer Blutstammzellenspende helfen könnten. Ohne Test stehen die Chancen dafür bei rund 25 Prozent.

Unter Umständen müssen mehrere Befruchtungszyklen durchgeführt werden, bis der passende Gewebetyp gefunden ist. Gesunde Embryos werden bei den Verfahren vernichtet.

CVP und SVP ziehen «rote Linie»

Die Fraktionen waren in der Frage der Retterbabys gespalten, die Skepsis überwog aber. «Ist alles, was medizinisch machbar ist, gesellschaftlich auch wünschbar?», fragte Christian Lohr (CVP/TG). Ein als «Retterbaby» gezeugtes Kind sei nicht mehr Selbstzweck, es komme zum Zweck der Stammzellenspende zur Welt - mit entsprechenden psychologischen Folgen.

Für die SVP jedoch war diese Art der Selektion jedoch nicht akzeptabel. Christoph Mörgeli (ZH) sprach von einem «Pièce de résistance»: Die SVP werde die ganze Vorlage ablehnen, wenn der Nationalrat Retterbabys zulasse. Die entsprechende Änderung von Verfassung und Fortpflanzungsmedizingesetz fiel in der Folge mit 108 zu 79 Stimmen bei vier Enthaltungen durch.

Auch die CVP zog eine «rote Linie». Beim Retterbaby gehe es nicht darum, ein gesundes Embryo auszuwählen, sondern jenes, das zum Geschwister passe, sagte Kathy Rickli (ZH). «Es geht um eine Selektion nach bestimmten Eigenschaften.»

Dies entspricht der Haltung des Bundesrats: Die Motive seien gut und nachvollziehbar, doch seien «Retterbabys» ein erster Schritt hin zur Eugenik, unterstrich Gesundheitsminister Alain Berset.

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