Die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten in der Schweiz ist gefährdet. Das Problem ist bekannt, der Alarmismus ist neu: Es ist das erste Mal, dass der Bund die Situation bei den Arzneimitteln als «problematisch» einstuft. Noch ist die höchste Stufe nicht erreicht, wird die Versorgungslage noch prekärer, wäre die Lage «kritisch».
Doch bereits heute ist die Situation laut Fachleuten sehr schwierig. Bereits 2016 hat der Bund mehrere Massnahmen gegen den Medikamentenengpass ergriffen, die leider nicht das gewünschte Resultat brachten. Gleichzeitig hat sich die Situation in den letzten Jahren laufend verschlechtert.
Mehrere Eskalationsstufen
Betroffen sind nicht nur Spitäler, sondern vermehrt auch Apotheken und Arztpraxen. Alltägliche Mittel wie Kopfwehtabletten, aber auch Antibiotika oder Hustensirup, sind plötzlich nicht mehr erhältlich. Das bedeutet: Apothekerinnen müssen in Rücksprache mit dem Hausarzt einen Ersatz für das verschriebene Medikament suchen. Patientinnen haben das Risiko, dass sie ein Medikament bekommen, das sie nicht kennen und eventuell weniger gut vertragen. Eine zusätzliche Belastung für ein bereits stark belastetes Gesundheitssystem.
Ist ein Medikament nicht erhältlich, kann es oft mit einem anderen ersetzt werden. Geht das nicht, kommt die erste Eskalationsstufe zur Anwendung: Es müssen Pflichtlager angezapft werden. 2018 war es in 17 Fällen nötig, dass lebenswichtige Arzneimittel aus Pflichtlagern bezogen werden mussten, 2019 waren es 57, 2022 bereits 120 Fälle. Das sind so viele wie noch nie. Heute hat nun die zweite Eskalationsstufe begonnen: Auch wenn die Pflichtlager geöffnet werden, ist nicht mehr sicher, dass genügend Medikamente zur Verfügung stehen. Das lässt aufhorchen.
Mehr als Feuerlöschen liegt wohl nicht drin
Seit letztem Jahr ist deshalb eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe des Bundes am Werk, die neue Massnahmen prüfen soll. Die Vorschläge dieser Gruppe sind laut BAG frühestens diesen April zu erwarten.
So lange kann der Bund aber nicht warten. Deshalb wird nun eine Taskforce eingesetzt, die mit kurzfristigen Massnahmen etwas Linderung verschaffen soll. Eine solche kurzfristige Lösung könnten etwa grössere Pflichtlager sein. Mehr als Feuerlöschen liegt aber wohl nicht drin. Die Ursache muss mit längerfristigen Massnahmen bekämpft werden. Das ist eine komplizierte Aufgabe. Denn die Ursachen für die Lieferengpässe sind eine toxische Kombination aus verschiedenen Gründen. Um nur einige davon zu nennen: fehlende Wirkstoffe, Produktionsunterbrüche und ein aktuell hoher Verbrauch an Medikamenten wegen vieler Grippefälle, Covid und dem RS-Virus.
Eine globale Herausforderung
Es gibt politische Forderungen, dass der Bund die Versorgung sicherstellen soll, eventuell mit der Armeeapotheke. Diese Möglichkeit wird auch in der Arbeitsgruppe diskutiert, allerdings erst als Lösung, wenn alle anderen Massnahmen nicht greifen würden. Eine Möglichkeit wären auch finanzielle Anreize für Hersteller, die bestimmte Medikamente in der Schweiz produzieren.
Und: immer wichtiger wird auch eine internationale Vernetzung. Die Schweiz ist vor allem mit europäischen Ländern im Austausch. Es soll aber auch überprüft werden, ob eine starke Zusammenarbeit in konkreten Projekten zur Verbesserung der Versorgung möglich wäre. Denn das Problem der Medikamentenengpässe ist keines, das nur die Schweiz betrifft, sondern eine globale Herausforderung.