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Protestwelle Iran Schweiz-Iranerin: «Ich war auf demselben Polizeiposten wie Amini»

Awin Tavakoli erzählt, wie sie im Iran ins selbe «Horrorhaus» musste wie Mahsa Amini, deren Tod weltweite Proteste auslöste.

Die Protestwelle im Iran lässt Awin Tavakoli nicht los, auch wenn sie längst nicht mehr in ihrer alten Heimat lebt, sondern sich in der Schweiz niedergelassen hat. Ausgelöst wurden die Proteste durch den Tod einer jungen Frau. Die 22-jährige Mahsa Amini wurde wegen eines angeblichen Verstosses gegen die strengen Kopftuchregeln auf eine Wache der Sittenpolizei gebracht, dort geschlagen und verstarb danach in einem Spital. Ihr Tod löste eine Protestwelle aus, die weit über den Iran hinaus Menschen auf die Strasse bringt. Auch in der Schweiz.

Weltweite Proteste

Geschockt darüber, welches Schicksal Mahsa Amini erfahren musste, ist auch die Juristin Awin Tavakoli – und das nicht zuletzt, weil sie als junge Frau im Iran Ähnliches erlebte hatte. «Ich war vor 25 Jahren auf derselben Polizeistelle wie Mahsa Amini», erzählt sie. «Auch ich musste in dieses Horrorhaus, zweimal sogar für eine ganze Nacht.» Allerdings überlebte Tavakoli diese Inhaftierungen, Amini überlebte hingegen nicht.

Jina Mahsa Amini

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Die 22-jährige Mahsa Amini war eine iranische Frau kurdischer Abstammung. Daher wird sie oft mit Jina angeschrieben, ihrem kurdischen Namen. Amini lebte in einer kurdischen Provinz und war in Teheran mit ihrer Familie auf Verwandtenbesuch, als sie von der Sittenpolizei geschnappt wurde und danach starb. Politische Aktivitäten sind von Amini nicht bekannt.

19 Jahre jung sei sie gewesen und entsprechend unerfahren, erzählt Tavakoli von damals, als sie noch im Iran lebte und wie Amini in Schwierigkeiten mit den Sittenwächtern geriet. Einer der grossen, bärtigen Männer habe ihr dann ein «Angebot» gemacht. «Er sagte, dass ich bestimmt wisse, wie ich rauskäme.»

Erst später habe sie verstanden, was er gemeint habe. Und erst auf Nachfrage spricht sie aus, was ihr noch heute nur schwer über die Lippen zu kommen scheint: «Er wollte eine sexuelle Dienstleistung von mir.»

Portrait einer Frau
Legende: Wissenschaftlerin und Musikerin Negin Winkler hatte in Iran Probleme mit den Sittenwächtern. Jetzt unterstützt sie die Iranerinnen mit Protesten in der Schweiz. SRF/kenc

Erfahrungen mit den iranischen Sittenwächtern hat auch Negine Winkler, die ebenfalls aus dem Iran stammt und in der Schweiz lebt. Seit den Protesten in Iran ist auch sie ständig am Handy, um mitzubekommen, was in Teheran läuft und wie es ihrer Familie im Iran geht. Die Wissenschaftlerin sagt, sie geniesse die Freiheiten, die sie als Frau in der Schweiz hat. «Aber auch die Schweizerinnen haben für ihre Rechte gekämpft. Und diese nutze ich jetzt hier, um mich für die Frauen in Iran einzusetzen», so Winkler.

Kopftuch als staatstragendes Kleidungsstück

Das Kopftuch ist in der Islamischen Republik Iran ein wichtiges Kleidungsstück. Frauen müssen die Haut und Haare zwingend bedecken, wenn sie in der Öffentlichkeit sind. Und auch wenn das Kopftuch nur versehentlich verrutscht, müssen sie mit harten Sanktionen rechnen – teils so harten, dass sie, wie im Falle Aminis, der betreffenden Frau den Tod bringen.

Frauen und vermehrt auch Männer protestieren nun seit Wochen in Iran, unter anderem nehmen Frauen ihre Kopftücher ab und verbrennen sie öffentlich. «Für diese Menschen gibt es keine Verhandlungsmasse mehr», sagt die Journalistin Natalie Amiri, die während fünf Jahren das ARD-Studio in Teheran leitete und die Proteste beobachtet: «Die Protestierenden rufen: Tod dem Diktator.»

Ich habe noch nie so viele Frauen ohne Kopftuch gesehen im Iran wie zurzeit.
Autor: Natali Amiri Iran-Kennerin

Die Demonstrationen seien für den iranischen Staat eine «grosse Bedrohung», sagt Amiri. «Das Kopftuch abzunehmen, ist die maximale Form des zivilen Ungehorsams. Und ich habe noch nie so viele Frauen ohne Kopftuch gesehen im Iran wie zurzeit.»

Die derzeitigen Proteste seien aussergewöhnlich und sie habe sowas in über 40 Jahren nicht gesehen. Sie böten gar die Chance, auf einen Regimewechsel, denn: Das Kopftuch stehe als Symbol für die jahrelange Unterdrückung der Frauen in der Islamischen Republik und «wenn dieses Kopftuch fallen wird, dann kann das der Beginn des Endes der Islamischen Republik werden.»

10 vor 10, 23. September 2022, 21:50 Uhr ; 

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