Es ist der erste Kriegsverbrecherprozess der Schweiz: Vor dem Strafgericht in Bellinzona muss sich ein heute 45-jähriger Liberianer verantworten. Der ehemalige Rebellenführer soll in den 90er-Jahren im liberianischen Bürgerkrieg grausame Verbrechen begangen haben.
Der Mann lebte jahrelang unerkannt in der Schweiz, bis eine Nichtregierungsorganisation Anzeige einreichte. Zum Auftakt der Hauptverhandlung stritt der Angeklagte alle Vorwürfe ab. Am Ende des Vormittags empörte er sich darüber, dass dies alles «erbärmlich» sei.
Die mutmasslichen Kriegsverbrechen sind fernab der Schweiz passiert und liegen Jahrzehnte zurück. Wie kann unter diesen Voraussetzungen überhaupt ermittelt werden? Dass dies enorm schwierig und aufwendig ist, bestätigt Stefan Wehrenberg, Anwalt und ehemaliger Chef Recht der Militärjustiz. Als Mitarbeiter des Sondergerichts für Sierra Leone sprach er zur Jahrtausendwende selbst mit Opfern und Zeugen von Kriegsverbrechen.
Schriftliche Aufzeichnungen oder gar Fotos von Gräueltaten gibt es bei solchen Ermittlungen kaum. «Meistens muss man sich rein auf Zeugenaussagen stützen.» Erstattet etwa eine Gruppe von Opfern oder ihren Angehörigen Anzeige, können diese zu den Vorwürfen befragt werden. Anknüpfungspunkte für Ermittlungen liefern auch Dokumentationen von NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International, die während der Konflikte Berichte publizierten, um die Welt wachzurütteln.
Die Vorgänge lassen sich aber nur rekonstruieren, indem man Zeugen befragt. Was nur möglich ist, wenn der Staat, in dem die Verbrechen stattfanden, Rechtshilfe gewährt. Die Gespräche, oft mit traumatisierten Opfern, erfordern viel Fingerspitzengefühl. In Sierra Leone seien grauenvolle Verbrechen teilweise in aller Öffentlichkeit verübt worden, sagt der Anwalt. «Beispielsweise wurden Leuten, die die falsche Partei gewählt, vor aller Augen die Hände abgehackt.»
Bei derartigen Verbrechen lassen sich verschiedene Zeugenaussagen miteinander abgleichen. Die Schwierigkeit sei aber, überhaupt das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. «Man muss ihnen zeigen, dass man sich ehrlich für den Konflikt interessiert und dass man auch etwas macht. Sie wollen nicht wieder von Verbrechen berichten, wenn später nichts passiert.»
Die alten Wunden reissen auf
Auch kulturelle und sprachliche Gräben machen sich auf, wenn europäische Ermittler im fernen Afrika auftauchen und die schmerzhafte Vergangenheit der Menschen aufarbeiten. «Das Vertrauen muss man sich nicht nur mit einzelnen Zeugen erarbeiteten, sondern mit dem ganzen Dorf.»
Helfen können Einheimische und Übersetzer, die die örtlichen Dialekte, Traditionen und Mentalitäten kennen. «Sie helfen bei Fragen, wie man sich den Menschen annähert oder ob man als Mann überhaupt eine Frau direkt befragen kann.»
Wenn ich mit meinem Hintergrund aus Zürich einfach so in ein afrikanisches Land reise, komme ich nirgends hin.
Vorbereitung und ein gutes Netzwerk im betreffenden Land sind also eminent wichtig, um verwertbare Beweise für den späteren Prozess zu gewinnen. «Wenn ich aber mit meinem Hintergrund aus Zürich einfach so in ein afrikanisches Land reise, komme ich nirgends hin.»
Und schliesslich wirken die Gräuel von damals bis heute nach, psychisch und körperlich. «Wir können uns gar nicht vorstellen, was in diesen Ländern passiert ist. Wenn wir diese Opfer vor uns haben, ist das häufig kein angenehmes Bild. Die Menschen sind traumatisiert. Das lässt einen nicht wieder los.»