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Quarantäne-Regeln Im Zweifel für den Pragmatismus

Neue Quarantäne-Regeln: Der Bundesrat schafft weitere Ausnahmen und bleibt dabei weiterhin pragmatisch.

Wer aus einem fernen Corona-Risikoland heimkehrt, muss in Quarantäne: So einfach war das bis jetzt. Nur: Was tun, wenn dummerweise ein direkter Nachbar zu einem Risikostaat wird? Oder später gar einmal grenznahe Nachbarregionen – das Elsass, Baden-Württemberg, die Lombardei? Gilt dann Quarantäne für alle Grenzgängerinnen, alle Einkaufstouristen, alle binationalen Familien?

Unpraktikabel. Also wählt der Bundesrat die pragmatische Variante. Und schafft Ausnahmen für alle möglichen Fälle: in erster Linie generell für ganze Grenzregionen. Dann speziell für Sportlerinnen und Musiker. Für Menschen, die aus medizinischen Gründen reisen müssen – aber nur wenn sie erstens weniger als fünf Tage lang unterwegs sind, dabei zweitens stets von einem wasserdichten Schutzkonzept begleitet werden und drittens beweisen können, dass sie das Konzept viertens auch umgesetzt haben.

Ausnahme von der Ausnahme

Man sieht: Langsam wird’s kompliziert. Und vielleicht auch unfair: Warum muss Familie Müller nach ihrem Spätsommer-Trip in die abgelegene Ferienwohnung in Südfrankreich Quarantäne absitzen – während Frau Meier ihren Fachkongress in Nizza mit 1000 Teilnehmern und einem lebhaften Abendprogramm ganz ohne drohende Quarantäne geniessen darf?

Auch epidemiologisch mag das verwirren: Ist das Übertragungsrisiko nicht gerade in Grenzgebieten mit ihrem regen Austausch besonders gross? Pragmatisch ist die Vorgehensweise hingegen: Das Alltagsleben in diesen Regionen käme mit Quarantäne zum Erliegen.

Bundesrat bleibt pragmatisch

Im Dilemma zwischen epidemiologischer Konsequenz und Pragmatismus entscheidet sich der Bundesrat also für Letzteres – einmal mehr. Er führt damit den Kurs fort, den er seit Beginn der Lockerungsschritte eingeschlagen hat.

Und geht einen weiteren Schritt auf dem schmalen Corona-Pfad zwischen Gesundheitsschutz und sogenannter Normalität: Zwischen einem Dschungel aus immer komplizierteren Corona-Vorschriften – und dem Leben, das irgendwie weitergehen soll.

Dabei nimmt der Bundesrat Widersprüche und Logikbrüche in Kauf. Wie etwa beim aktuellen Flickenteppich von Maskenvorschriften. Oder wie bei der je nach Kanton unterschiedlichen zulässigen Grösse von Veranstaltungen. Oder wie bei der Öffnung der Fussballstadien und Eishockeyarenen für Tausende – just zum Zeitpunkt steigender Infektionszahlen.

Das geht gut, solange, wie die Neuinfektionen unter Kontrolle, die Anzahl Hospitalisierungen überschaubar und jene der Todesfälle tief sind. Und wenn nicht? Dann wird man sehen, ob es ausreicht, die Regeln halt wieder zu ändern – und neue Ausnahmen von der Ausnahme zu definieren.

Gaudenz Wacker

Bundeshausredaktor, SRF

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Gaudenz Wacker ist SRF-Bundeshausredaktor. Er arbeitete von 2006 bis 2014 beim Regionaljournal Basel, dort zuletzt als Korrespondent für Radio SRF. Er hat in Basel studiert und arbeitete vor seiner Tätigkeit bei SRF an der Universität Basel und für lokale Medien.

Echo der Zeit, 11.09.2020, 18:00 Uhr

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