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Rahmenabkommen mit der EU Die Unionsbürgerrichtlinie – ein Phantom ohne Preisschild

In der Diskussion um das Rahmenabkommen ist die Unionsbürgerrichtlinie ein heikles Thema. Analysen zu den Folgen fehlen.

Das Rahmenabkommen könnte Opfer eines klassischen Zangenangriffs werden. Während sich die linke, gewerkschaftliche Seite vehement gegen die befürchtete Schwächung der flankierenden Massnahmen wehrt, gehen viele Bürgerliche wegen der Unionsbürgerrichtlinie auf die Barrikaden.

Was ist die Unionsbürgerrichtlinie?

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Bei der Unionsbürgerrichtlinie handelt es sich um das Einreise-, Ausreise- und Aufenthaltsrecht der EU für die Bürgerinnen und Bürger ihrer Mitgliedsstaaten. Diese Weiterentwicklung der Bilateralen wird im neuen Rahmenabkommen nicht erwähnt.

Allerdings besteht die Befürchtung, dass die Richtlinie über ein Schiedsgerichtsverfahren aufs Tapet gebracht werden könnte.

Die Schweiz steht der Unionsbürgerrichtlinie kritisch gegenüber. Der Grund: Personen aus der EU, die aufenthaltsberechtigt sind, hätten – mit Ausnahmen – das Recht, gleich behandelt zu werden, wie die Staatsbürger des betroffenen Landes.

Was bedeutet das?

  • EU-Bürger könnten nach sechs Monaten Arbeitstätigkeit Sozialhilfe beziehen.
  • Die Ausschaffung von Unionsbürgern würde mit den neuen Richtlinien erschwert.
  • Unionsbürger würden nach fünf Jahren ein Recht auf Daueraufenthalt erhalten.

Mitte-Ständerat Pirmin Bischof bringt den Widerstand auf den Punkt: «Die Unionsbürgerrichtlinie ist inakzeptabel. Sie würde einen eigentlichen Dammbruch bringen, was den Zugang zu Aufenthaltsrecht und Sozialhilfe betrifft und würde finanziell unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen.»

Pirmin Bischof
Legende: Für Pirmin Bischof (Mitte/SO) Keystone

Die EU fordert von der Schweiz schon seit Jahren die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Die Schweiz wehrt sich ebenso vehement dagegen. Mit der Richtlinie kämen EU-Bürgerinnen bereits nach fünf Jahren zu einem Daueraufenthaltsrecht – und nicht wie bis anhin nach zehn Jahren; und es hätten auch mehr EU-Bürgerinnen und Bürger Zugang zur Sozialhilfe.

Sozialhilfe auf Lebenszeit

Das sei eben ein Dammbruch, so Bischof: «Das würde heissen, dass EU-Angehörige – ohne eine Stelle zu haben – Zugang zur Sozialhilfe bekämen. Wenn sie in der Schweiz eine Stelle haben und ihnen im ersten Jahr gekündigt wird, würde das sechs Monate Zugang bringen – ab dem zweiten sogar einen lebenslänglichen Zugang. Das ist heute nicht vorgesehen.»

Die Unionsbürgerrichtlinie ist letztlich überschaubar in der Kostenfolge.
Autor: Peter Grünenfelder Avenir Suisse

Das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) hat zwar juristische Analysen zur Unionsbürgerrichtlinie verfasst. Es hat aber nie konkret berechnet, wie teuer eine Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie tatsächlich wäre, das heisst, wie viel dies die Sozialhilfe zusätzlich kosten würde.

Bloss ein «Phantomschmerz»?

Das weiss auch Bischof. Weshalb Peter Grünenfelder, der Direktor des bürgerlichen und europafreundlichen Thinktanks Avenir Suisse, erwidert: «Ich glaube, die Unionsbürgerrichtlinie ist der Phantomschmerz der Schweizer Europapolitik. Man bildet sich etwas ein, das eigentlich gar nicht dazugehört. Die Unionsbürgerrichtlinie ist letztlich überschaubar in der Kostenfolge.»

Cassis & Co.
Legende: Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über das Rahmenabkommen biegen auf die Zielgerade ein. Der Bundesrat (im Bild in der Mitte Aussenminister Ignazio Cassis) wird demnächst Bilanz ziehen und über das weitere Vorgehen entscheiden. Keystone

Avenir Suisse hat deshalb überschlagsmässig die finanziellen Auswirkungen berechnet. «Wenn eine Unionsbürgerrichtlinie käme, lägen die maximalen Zusatzkosten – so wie wir das berechnet haben – für den Steuerzahlenden zwischen 28 und 75 Millionen Franken pro Jahr», sagt Grünenfelder.

Die Unionsbürgerrichtlinie (...) würde einen eigentlichen Dammbruch bringen.
Autor: Pirmin Bischof Ständerat (Mitte/SO)

Der Bund selber kommentiert diese Zahlen nicht und für Bischof spielen sie keine grosse Rolle. Es geht ihm und vielen Bürgerlichen um Grundsätzliches: «Die Schweiz hat mit der EU ein Personenfreizügigkeitsabkommen. Das betrifft die Arbeit in der Schweiz oder der EU. Die EU will jedoch ein allgemeines Aufenthalts- und Sozialhilferecht. Das kommt nicht infrage.»

Richtlinie kein Thema im Entwurf

Bemerkenswert ist, dass die Unionsbürgerrichtlinie im vorliegenden Entwurf des Rahmenabkommens mit keinem Wort erwähnt ist. Weil sich die beiden Seiten nicht einigen konnten, liessen sie sie einfach unerwähnt. Aber die Schweiz befürchtet, dass die EU die Richtlinie trotzdem über das vorgesehene Schiedsgericht einklagen könnte.

Dieses Szenario will der Bundesrat kategorisch ausschliessen und fordert entsprechende Zusagen bei den laufenden Nachverhandlungen. Allerdings sollen sich die beiden Seiten bisher nicht angenähert haben. Damit wäre der bürgerliche Widerstand gegen das Rahmenabkommen garantiert – obwohl es keine offiziellen Zahlen zu den finanziellen Folgen gibt.

Echo der Zeit, 8.4.2021, 18 Uhr

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