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Reelle Chancen Rytz konnte gar nicht anders als zu kandidieren

Sie tritt also an. Regula Rytz will erste grüne Bundesrätin werden. Eigentlich konnte die Bernerin heute gar nicht anders als verkünden: «Ich bin bereit». Die Erwartungshaltung an die Grünen ist nach dem erdrutschartigen Sieg vor einem Monat riesig – vielleicht zu riesig. Helvetische Gepflogenheiten für die Bundesratswahlen – Abwahlen sind eigentlich unbeliebt und Anwärter mussten bisher im Vorzimmer der Macht ein paar Jahre warten – scheinen von der Grünen Welle gerade weggespült zu werden.

Nicht einmal der Dämpfer der Nicht-Wahl der beiden grünen Ständerats-Kandidatinnen (Rytz in Bern und Schlatter in Zürich) haben daran etwas geändert. Im Gegenteil: Zu ihrem Glück wurde Rytz nicht gewählt. Als gewählte Ständerätin wären ihre Bundesratsambitionen wohl beendet gewesen. Von Amt zu Amt hüpfen ist unbeliebt.

Ähnlich wie einst Christoph Blocher argumentierte Rytz heute mit dem «Auftrag» der Wählerinnen und Wähler an die Grünen, jetzt wegen der «ökologischen Dringlichkeit» antreten zu müssen.

Hat Rytz Chancen?

Das ist durchaus möglich.

  • Die Grünen sind im Nationalrat viertstärkste Kraft und auch im Ständerat haben sie wie keine andere Partei zugelegt, sie könnten am nächsten Sonntag gar noch die SVP ein- oder gar überholen. Die heutige Zauberformel ist nicht mehr zeitgemäss.
  • Der Zeitgeist kommt den Grünen entgegen. Selbst der Bundesrat hat kürzlich sein Klimaziel verschärft. Netto-Null-CO2-Ausstoss bis 2050.
  • Regula Rytz ist wohl die bekannteste und erfahrenste Politikerin. Sie war acht Jahre in der Berner Stadtregierung und ist jetzt seit acht Jahren auf nationaler Ebene präsent. Umgänglich im Ton und mit der Berner Mechanik bis ins Detail vertraut, hat sie derzeit wohl wie keine andere grüne Politikerin das Format zur Bundesrätin.

Was spricht gegen Rytz?

Zu links.

  • Die ehemalige Gewerkschafterin Regula Rytz politisiert laut einem Parlamentarier-Ranking der NZZ ganz am linken Rand.
  • Die Abwahl amtierender Bundesräte ist unpopulär, insbesondere die Abwahl eines Tessiner Bundesrates. Nach Experimenten mit der Abwahl von Ruth Metzler 2003 und der Abwahl von Christoph Blocher 2007 ist erst mit dem Rücktritt von Eveline Widmer Schlumpf Ende 2015 wieder Ruhe eingekehrt. Darf die grüne Welle die wiedererlangte Ruhe jetzt schon stören?

Wird Rytz gewählt?

Das ist durchaus möglich. Am 11. Dezember wird es an der neu zusammengesetzten Vereinigten Bundesversammlung liegen, ob Regula Rytz oder vielleicht ein anderer Kandidat der Grünen gewählt wird oder nicht.

Eine Wahl zulasten eines SP-Bundesrates scheint zur Stunde wenig realistisch. SVP und FDP sind für ein solches Manöver zu schwach. Wahrscheinlicher ist, dass FDP-Bundesrat Ignazio Cassis angegriffen wird. Die Links- und Mitte-Links-Fraktionen wären zusammen genug stark, um Cassis abzuwählen zugunsten von Regula Rytz.

Abwahl von Bundesrat Cassis brächte der CVP Vorteile

Derzeit hält sich die CVP noch bedeckt, ob sie mitmachen wird. Eine Abwahl von Cassis hätte für die CVP Vorteile. Die CVP wäre im Bundesrat auf Augenhöhe mit der FDP – Viola Amherd könnte mal mit Links mal mit Rechts Mehrheiten bilden. Bereits jetzt ist die CVP im Nationalrat und im Ständerat wieder Zünglein an der Waage.

Die CVP würde mit einer Abwahl von Bundesrat Cassis zur Mehrheitsbeschafferin im Bundesrat und in beiden Kammern des Parlaments. Und die Christdemokraten hätten mit der Wucht der grünen Welle einen tauglichen Rechtfertigungsgrund, um Ignazio Cassis abzuwählen.

Noch ist es nicht so weit. Regula Rytz hat wohl reelle Chancen im Dezember Bundesrätin zu werden, wird sie es nicht, kann sie sagen: Ich habe es versucht, noch sollte es nicht sein.

Die nächsten Wochen werden spannend.

Christoph Nufer

Leiter Bundeshausredaktion, SRF

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Christoph Nufer ist seit 2016 Leiter der Bundeshausredaktion des Schweizer Fernsehens SRF. Davor war er als EU-Korrespondent in Brüssel stationiert.

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