Eine Diebesbande wollte im Herbst 2020 ein Waffengeschäft im aargauischen Wallbach ausrauben, in dem sich eine grosse Waffenlieferung für die Polizei befand. Der Besitzer des Geschäfts schoss mit einem Sturmgewehr auf die Einbrecher und verletzte einen von ihnen.
Die Staatsanwaltschaft klagte den Mann daraufhin an. Das Bezirksgericht Rheinfelden sprach ihn nun aber vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung frei. Der Waffenhändler habe aus Notwehr gehandelt.
Wie geht Notwehr? Wann darf man auf jemanden schiessen? Strafrechtsprofessor Felix Bommer ordnet ein.
SRF News: Ein Mann hat auf Einbrecher geschossen. Kommt das in der Schweiz oft vor?
Felix Bommer: Nein, das sind in der Schweiz seltene Situationen. Sie sind längst nicht so verbreitet, wie zum Beispiel in den USA. Das hat auch damit zu tun, dass der Besitz von Schusswaffen nicht gleichermassen verbreitet ist.
Im vorliegenden Fall hat ein Waffenhändler auf Einbrecher geschossen, die in sein Geschäft eindringen wollten. Ist das eine klassische Notwehrsituation?
Das ist an sich eine solche Situation. Man muss aber unterscheiden, was die Einbrecher wollten. Hier wollten sie Waffen stehlen. Das ist ein Angriff auf Eigentum des Waffenhändlers.
Offenbar kletterte ein Einbrecher aber auch an der Fassade zum Schlafzimmerfenster. Dort wissen wir weniger genau, was er wollte. Es kann der Anfang eines Angriffs auf die körperliche Integrität der Personen im Zimmer sein. Es kann unter Umständen sogar der Anfang einer Tötung dieser Personen sein, das wissen wir nicht. Sicher verletzt ist das Hausrecht des Waffenhändlers. Auch das ist ein notwehrfähiges Rechtsgut – genauso wie Leib und Leben.
Das heisst vereinfach gesagt: Wenn ich auf meinem Balkon einen Dämmerungseinbrecher entdecke, dann darf ich schiessen?
Wenn es nur um die Verletzung des Hausrechts geht, dann dürfen Sie nicht schiessen. Wenn aber diese Person mit einem Messer auf Sie einstechen will, dann dürfen Sie im Extremfall schiessen – wenn Sie keine andere Möglichkeit zur Abwehr haben.
Sind Sie ein grosser, starker Mann und der Einbrecher ein kleines Männlein, dann müssen Sie von Ihren Kräften Gebrauch machen.
Sind Sie ein grosser, starker Mann und der Einbrecher ein kleines Männlein, dann müssen Sie von Ihren Kräften Gebrauch machen. Wenn keine Chance auf körperliche Abwehr besteht, dann dürfen Sie im Extremfall auch eine Schusswaffe einsetzen.
Ich darf also erst dann schiessen, wenn ich keine andere Möglichkeit habe?
Sie müssen immer das mildeste Mittel wählen, das in der konkreten Situation Erfolg verspricht. Das kann auch ein Warnschuss sein.
Immer das mildeste Mittel wählen.
Wenn keine Zeit dazu bleibt, dann dürfen Sie direkt schiessen. Aber nicht ins Gesicht, sondern ins Bein oder den Fuss.
Was würden Sie tun, wenn Sie einen Einbrecher auf dem Balkon entdecken?
Dann ist guter Rat teuer. Es kann genauso klug sein, sich zurückzuziehen, um es nicht zu einer Konfrontation kommen zu lassen. Das gilt vor allem dann, wenn man nicht geübt ist im Umgang mit einer Schusswaffe.
Täuscht der Eindruck, dass sich Gerichte und Behörden schwertun mit solchen Notwehrsituationen?
Sie haben keine Freude an solchen Fällen. Die Notwehr ist ein Eingriff in das staatliche Gewaltmonopol. Gewalt ausüben darf bei uns der Staat – und sonst niemand. Private dürfen dies nur im Notfall. Und die Notwehr ist genau so ein Notfall.
Das Gespräch führte Ralph Heiniger.