Der Nationalrat hat sich erstmals mit den Renten für Verwitwete sowie den AHV-Renten von Ehepaaren befasst. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser war vor drei Jahren zum Schluss gekommen, dass die Schweiz verwitwete Personen nicht gleich behandelt. Der Bundesrat hatte daher vorgeschlagen, allen Verwitweten dieselbe Rente auszubezahlen – Männern, Frauen, Verheirateten sowie Unverheirateten. Im Vergleich zu heute würden die Witwenrenten sinken. Bundeshausredaktor Andreas Stüdli ordnet die komplexe Reform ein.
Was hat der Nationalrat entschieden?
Er hat entschieden, dass es grundsätzlich für verwitwete Männer und Frauen nur noch eine Rente geben soll, bis das jüngste Kind den 25. Geburtstag erreicht hat. Nur wer ein Kind mit Behinderung betreut, soll über dieses Alter hinaus noch eine Hinterlassenenrente erhalten. Doch auch Verwitwete, die mit 58 Jahren auf das Pensionsalter zugehen und denen nach dem Tod des Partners Armut droht, können finanziell unterstützt werden. Das ist für verwitwete Frauen eine deutliche Verschlechterung, für verwitwete Männer aber eine leichte Verbesserung. Verwitwete Männer bekamen bis zum EGMR-Urteil nur eine Hinterlassenenrente, bis alle Kinder volljährig sind, also bis zum 18. Geburtstag. Frauen hingegen erhielten bislang ein Leben lang eine Hinterlassenenrente. Diese soll nun abgeschafft werden.
Welches sind die grössten Änderungen?
Die grösste Änderung der Reform ist, dass der Zivilstand bei Witwenrenten keine Rolle mehr spielen soll. Es spielt also keine Rolle mehr, ob man verheiratet ist oder nicht. Hier ist der Nationalrat nah am Vorschlag des Bundesrats geblieben. Für Witwen ohne unterhaltspflichtige Kinder hat der Nationalrat einen Mittelweg beschritten. Frauen, die Kinder haben und eine Hinterlassenenrente beziehen, sollen diese weiterhin ausbezahlt erhalten. Härter trifft es verwitwete Frauen, die keine Kinder haben. Ihnen würde mit dem Vorschlag des Nationalrats die Rente gestrichen, solange sie keine Ergänzungsleistungen beziehen. Damit will der Nationalrat weniger weit gehen als der Bundesrat. Dieser hätte Witwen unter 55 Jahren die Renten streichen wollen, wenn sie keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben.
Was war im Nationalrat umstritten?
Für Diskussionen sorgte, dass verwitwete Frauen ohne Kinder künftig keine Renten mehr erhalten sollen. SP und Grüne stellten dazu zahlreiche Minderheitsanträge. Angenommen wurde ein Antrag von Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH), der eine längere Übergangsfrist für Witwen ohne Kinder vorsieht, bevor sie die Rente verlieren. Insgesamt stand eine knappe Mehrheit von FDP, Grünliberalen und SVP hinter dem nationalrätlichen Konzept. Die Reform der Hinterlassenenrenten ist vom Nationalrat zudem mit einer Mitte-Volksinitiative verknüpft worden. Diese will beiden Ehepartnern eine volle AHV-Rente ermöglichen anstatt des bisherigen Plafonds von 150 Prozent.
Wie geht es weiter?
Zuerst kommt der indirekte Gegenvorschlag mit den Hinterlassenenrenten in den Ständerat. Auch über die Volksinitiative der Mitte werden National- und Ständerat noch entscheiden müssen. Es zeigte sich aber im Nationalrat, dass die Mehrheit knapp ist. Deshalb ist die Gefahr gross, dass diese Vorlage im Ständerat noch Schiffbruch erleiden könnte. Von Links könnte zudem ein Referendum ergriffen werden, wenn laufende Renten gestrichen würden.