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Rolle der Schweiz im Krieg «Schweizer Neutralität kommt auch Dritten wie Deutschland zugute»

Die Nato ist im Zuge der Ukraine-Krise zu neuer Stärke erwacht: Sie soll für Sicherheit im Westen sorgen und tut dies auch – durch drohende Worte und Abschreckungsübungen. Davon profitiert auch die Schweiz, was ihr Kritik einträgt. So hat jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ausgeführt, dass die Schweiz vom Schutz der Nato profitiere, dem Bündnis aber – indem sie Munition nicht freigebe und Überflugsrechte verwehre – in den Rücken falle.

Sind die Vorwürfe stichhaltig? Wie arg beschädigen sie den politischen Ruf der Schweiz? Wer tut da überhaupt seinen Ärger kund – und warum? SRF News hat mit einem Experten gesprochen.

Laurent Goetschel

Direktor von Swisspeace

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Goetschel ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Basel und Direktor der Friedensstiftung Swisspeace. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Friedens- und Konfliktforschung sowie die europäische Integration. Er arbeitete früher unter anderem als Journalist bei der Nachrichtenagentur AP und als politischer Berater von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

SRF News: Ist die Schweiz Trittbrettfahrerin der Nato?

Laurent Goetschel: Nein, der Meinung bin ich nicht. Die erwähnten Punkte sind durch die Schweizer Neutralität bedingt. Wenn ein Land neutral ist, macht es bei keinem Militärbündnis mit und kann sich weder direkt noch indirekt an militärischen Aktionen beteiligen. Neutralität gibt es allerdings nur, wenn diese auch von Dritten akzeptiert wird; man kann nicht neutral sein, wenn das einem niemand sonst glaubt oder glauben will. Und Neutralität ist auch im Sinne von Dritten, sie kommt immer auch Dritten wie etwa Deutschland zugute.

Es ist völlig verständlich, dass die Frage nach der Schweizer Haltung Emotionen weckt, dass man der Schweiz vorwirft, sie handle feige. Dieser Vorwurf ist nicht neu, sondern wurde schon in den Weltkriegen diskutiert. Neutral zu sein ist indes weder richtig noch falsch, sondern Resultat eines Entscheids, den die Schweiz für sich selbst fällen muss, und der nicht von Konflikt zu Konflikt neu gefällt werden sollte.

Es ist völlig verständlich, dass (...) man der Schweiz vorwirft, sie handle feige.

Welche Konsequenzen können solche Vorwürfe haben?

Einzelne solche Kommentare sind nicht überzubewerten. Selbstverständlich darf die Neutralität kein Selbstzweck sein. Die Schweiz rettet auch nicht die Welt damit. Aber neutral kann sie andere Rollen wahrnehmen, beispielsweise zur Ukraine-Reform-Konferenz einladen. Falls diese Konferenz in der Schweiz abgehalten wird, legt dies nahe, dass die Schweiz auch Gutes aus der Neutralität schöpfen und im Sinne anderer Staaten und Staatenverbände Politik machen kann.

Warum kommt die Kritik aus Deutschland gerade jetzt?

Seit dem Zweiten Weltkrieg steckt Deutschland in einem Dilemma. Das Land will gestalten im normativen und ökonomischen Sinn, aber keine sicherheitspolitische Verantwortung dafür übernehmen. Es hat grosse Macht, will in Konflikten aber wenig präsent sein.

Deutschland hat grosse Macht, will in Konflikten aber wenig präsent sein

Der Ukraine-Krieg hat diese innenpolitische Diskussion neu entfacht und die Frage aufgeworfen, mit welcher Begründung Deutschland eine neue Rolle einnehmen kann. Ausgehend von der deutschen Diskussion darf man aber keine Parallelen zum Schweizer Diskurs ziehen. Denn Deutschland ist historisch und von der Grösse her ein ganz anderer Fall als die kleine und traditionell neutrale Schweiz.

Das Gespräch führte Christine Spiess.

 

Wie beeinflusst der Krieg das Image der Schweiz?

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Laut Diana Ingenhoff, Professorin für Organisationskommunikation und Kommunikationsmanagement an der Universität Freiburg, könnte die Reaktion der Schweiz auf den russischen Überfall prinzipiell ein so einschneidendes Ereignis sein, dass es einen messbaren Wandel des Schweizer Images auslöse.

Dabei betreffe die Haltung der Schweiz zum Ukraine-Krieg «vor allem die normativ-ethische Dimension» des Landesimages. «Nehmen wir das Beispiel, dass die Schweiz ja über 47'000 Geflüchtete aufgenommen hat. Dies wirkt sich wahrscheinlich positiv auf das Landes-Image aus. Während Schweizer Unternehmen wie zum Beispiel die Credit Suisse eher als problematisch wahrgenommen werden, wenn es darum geht, Oligarchen-Gelder einzufrieren, führt die unter anderem auf Public Diplomacy, internationale PR-Forschung und Länderimages spezialisierte Expertin aus.

Allerdings werde die Reaktion der Schweiz in jedem Land, wenn überhaupt, auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. «In Ländern, in denen weite Teile der Bevölkerung Russland als Hauptaggressor wahrnimmt, könnte eine neutrale Haltung der Schweiz in der normativ-ethischen Dimension als imageschädigend wahrgenommen werden. In anderen Ländern, in denen weite Teile der Bevölkerung zumindest eine Teilschuld bei der Nato sehen, kann sich dieselbe Haltung wiederum anders auswirken.»

Tagesschau am Mittag, 10.05.2022, 12:45 Uhr ; 

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