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Zurück zu den Wurzeln Ein Tessiner Bergdorf trotzt dem Trend der Abwanderung

Während viele Alpenorte mit Abwanderung und Leerstand kämpfen, lebt das Tessiner Dorf Bedretto neu auf. Rückkehrer mit Wurzeln im Tal sorgen für neues Leben.

Benno Fry lädt Getränke aus und verstaut sie in der Vorratskammer der «Osteria Bäkar». Es ist neun Uhr morgens in Villa, einem von insgesamt vier Weilern der Gemeinde Bedretto im Tessin.

Seit rund eineinhalb Jahren führt er das Restaurant gemeinsam mit seiner Frau Lucetta. «Wir sind zufrieden – wir haben gute Gäste. Es ist streng, vor allem an den Wochenenden, aber wir schaffen das», sagt Fry.

Zurück zu den Wurzeln

Dass er hier gelandet ist, ist kein Zufall. In der Gaststube zeigt er auf ein altes Schwarzweissfoto: Seine Grosseltern beim Heuen. Die Wurzeln liegen in Villa. Kurz vor der Pension hat Fry sein Geschäft verkauft und eine neue Herausforderung gesucht.

Die Geschichte der Osteria «Bäkar»

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In dem Haus, wo sich heute die Osteria Bäkar befindet, befand sich früher die Dorfbäckerei und ein Lebensmittelladen. Der Name «Bäkar» stammt vom bedrettesischen Dialekt und bedeutet Bäckerei, stark angelehnt an das deutsche Wort. So hatte der ehemalige Bäcker denn auch eine Lehre in Altdorf absolviert und von dort nicht nur den Namen sondern auch die Spezialitäten von ennet dem Gotthard nach Bedretto gebracht.

Die Bäckerei wurde in den 1990er-Jahren geschlossen. 2024 wurde das grosse Haus vollständig saniert. Seither befindet sich die Osteria Bäkar darin.

Mit der Gemeinde wurde er sich schnell einig und übernahm die Osteria Bäkar. Seine Frau Lucetta war zuerst weniger begeistert vom neuen Wirtedasein.

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch im Restaurant.
Legende: Als Pensionierte ins Bedrettotal gezogen: Das Wirte-Ehepaar Brenno und Lucetta Fry betreibt die Osteria «Bäkar». Iwan Santoro / SRF

«Am Anfang mussten wir zuerst definieren, wer was macht. Jetzt funktioniert das gut.» Fry ist in Piotta aufgewachsen, spricht den gleichen Dialekt wie die Leute in Bedretto, ebenso seine Frau. Trotzdem, sagt er, werde man daran gemessen, was man leistet.

Zurück zu den Wurzeln

Gegenüber der Osteria Bäkar wohnt Dania Jurietti mit ihrer Familie in einem umgebauten Stall. Sie ist Kindergartenlehrerin in Airolo und Mutter einer vierjährigen Tochter.

Junge Mutter mit Kind auf dem Arm.
Legende: Ihre Wurzeln sind im Bergdorf Bedretto. Nun ist Dania mit ihrer Familie wieder in das Heimatdorf ihrer Grossmutter gezogen. Iwan Santoro / SRF

Auch sie hat Wurzeln in Bedretto – ihre Grossmutter stammt von hier, das Haus gehört ihrem Vater. Für ihren Mann, einen Portugiesen, war der lange Winter anfangs ein Schock: «Die Winter dauern hier nicht nur drei, vier Monate – sondern bis zu einem halben Jahr.» Mittlerweile gefalle es ihm aber auch in Bedretto.

Die Rückkehr der Familien

Die junge Familie und das Rentner-Ehepaar sind Beweis dafür, dass Bedretto wieder wächst. In den 1990er-Jahren lebten nur noch 50 Menschen hier. Heute sind es über 100.

Berglandschaft mit dunklen Wolken am Himmel.
Legende: Die Gemeinde Bedretto wächst wieder – langsam, aber stetig. Vor 30 Jahren waren es noch 50 Einwohner, nun sind es wieder über 100. Iwan Santoro / SRF

Gemeindepräsident Ignazio Leonardi freut sich über die Entwicklung. Denn bis vor Kurzem gab es keine Kinder in Bedretto. Um die Jahrtausendwende galt die Gemeinde gar als die älteste der Schweiz: Prozentual wohnten hier am meisten Über-65-jährige.

Glasfaser und tiefe Steuern

Mittlerweile hat sich die Gemeinde verjüngt. So gibt es wieder vier Minderjährige, im Herbst wird die Geburt eines Kindes in Bedretto erwartet. Ein Ereignis, das es schon lange nicht mehr gab. Die Familien kämen wider zurück und belebten das Dorf, sagt Leonardi stolz.

Mann steht vor einem beflaggten Gemeindehaus.
Legende: Bedretto wirkt verschlafen, ist aber mit der Welt verbunden. Die Gemeinde ist mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Iwan Santoro/SRF

Auch wenn es keine Läden oder Schulen im Dorf gibt – die Nähe zu Airolo, tiefe Steuern und gute Infrastruktur machen Bedretto attraktiv. Besonders stolz ist Leonardi auf die digitale Anbindung: «Wir haben es geschafft, als eine der ersten Gemeinden Glasfaser ins Tal zu bringen. Das ermöglicht Homeoffice – viele arbeiten drei Tage hier und zwei Tage auswärts.»

Wachstum ja – aber langsam

Dennoch: Leonardi bleibt auf dem Boden. Dass Bedretto dereinst wieder über 600 Einwohner zählt wie im 19. Jahrhundert, glaubt er nicht. Die Gemeinde sei durch Lawinen- und Hochwassergefahren baulich eingeschränkt.

Wir werden kein Zermatt und auch kein St. Moritz.
Autor: Ignazio Leonardi Gemeindepräsident von Bedretto

60 bis 80 zusätzliche Einwohner seien realistisch. Ziel sei es, sanft zu wachsen und unabhängig zu bleiben. «Wir werden weder zu einem Zermatt noch zu einem St. Moritz. Was wir noch ausbauen können, sind die wenigen Ställe, die in den Ortskernen übrig sind.»

Aber sowohl der Gemeindepräsident wie auch das neuzugezogene Wirtepaar und die junge Familie sind überzeugt, Bedretto wird überleben. Es habe eine starke Seele dank den Zugewanderten, die zu ihren Wurzeln zurückkehrten.

Echo der Zeit, 24.9.2025, 18:00 Uhr;weds

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