Wie viele es sind, weiss niemand genau. Eine Studie geht von 60'000 bis 100'000 Personen aus, die in der Schweiz ohne gültige Aufenthaltsbewilligung leben. Davon sind rund 3000 Sans-Papiers im Kanton Bern . Die Beratungsstelle in Bern habe seit Ausbruch des Coronavirus besonders viel zu tun, sagt Karin Jenni, Co-Leiterin der Beratungsstelle für Sans-Papiers im Gespräch mit SRF.
SRF News: Wie präsent ist das Thema «Coronavirus» in den Beratungsgesprächen?
Karin Jenni: Ziemlich präsent. Einerseits haben einige Menschen ihre Arbeitsstelle aufgrund des Virus verloren, andererseits ist das Bedürfnis nach Informationen zur Impfung hoch.
Was sind die drängendsten Fragen?
Ist es möglich, mich als Sans-Papiers impfen zu lassen? Viele kommen in die Beratung und wollen wissen, wie und ob das funktioniert. Wir können sagen: Ja, impfen ist möglich.
Gibt es denn keine Hürden für Menschen ohne Papiere, sich impfen zu lassen?
Doch, es gibt natürlich Hürden. Es ist zwar so, dass nicht die Aufenthaltsbewilligung ausschlaggebend ist – das steht also nicht im Weg. Aber viele Sans-Papiers haben keine Krankenkasse. Und nicht alle haben ein Dokument, welches ihre Identität bestätigt.
Wer zahlt denn die Impfung in diesem Fall?
Das bezahlt der Bund, das wurde früh entsprechend geregelt. Ich denke, da besteht ein hohes Interesse seitens der Behörden, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.
Wie unterstützen Sie Sans-Papiers bezüglich Zugang zur Impfung denn konkret?
Wir helfen beim Registrierungsprozess. Man muss ja bei der Onlineregistrierung viele Angaben machen. Viele haben Angst davor, diese Daten preiszugeben. Hier gibt es ein tiefes Misstrauen.
Viele haben Angst davor, ihre Daten preiszugeben.
Wir haben aber mit den Behörden abgeklärt, dass diese Daten nur für gesundheitliche Zwecke verwendet werden. So können wir die Angst ein wenig nehmen. Zudem begleiten wir Personen, die es wünschen, auch zu den Impfterminen.
Ist diese Angst also unbegründet?
Natürlich können wir diese Angst verstehen: Sans-Papiers leben hier ohne Aufenthaltsbewilligung, sie fürchten sich vor Kontakt mit den Behörden und haben immer Angst aufzufliegen. Da ist klar, dass sie Daten, wie zum Beispiel eine Adresse, nicht gerne preisgeben. Deshalb haben wir das gründlich abgeklärt und können davon ausgehen, dass die Daten nicht missbraucht werden von den Behörden.
Wie sieht es denn aus bezüglich Zertifikat? Für einige Jobs ist das Pflicht.
Viele Sans-Papiers haben tatsächlich ihre Arbeitsstelle aufgrund von Corona verloren, allerdings nicht unbedingt wegen der Impfung oder des Zertifikates. Es ging eher um Jobs in Privathaushalten, da wollten viele Familien aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht noch eine zusätzliche Person im Haushalt.
Insgesamt hat die Pandemie bestimmt bei vielen Sans-Papiers zu mehr Rückzug geführt
Einige, die in Restaurants arbeiteten, verloren ihre Stelle, als diese vorübergehend schliessen mussten. Im Übrigen ist es grundsätzlich auch für Sans-Papiers in den meisten Fällen möglich durch eine Impfung oder Testen zu einem Zertifikat zu kommen.
Hat die Pandemie die Lage der Sans-Papiers zusätzlich verschärft, was die Isolation gegenüber der Gesellschaft betrifft?
Man kann das nicht verallgemeinern. Aber insgesamt hat die Pandemie bestimmt bei vielen Sans-Papiers zu mehr Rückzug geführt. Lange war die Angst einer Ansteckung und einer Spitaleinweisung gross. Dazu kam oft der Verlust der Arbeitsstelle und damit noch mehr Prekarität. Die Folge ist oft noch mehr Rückzug. Das hat schon zu viel Isolation geführt – es gab sicher Situationen, die sehr schwierig zu meistern waren.
Das Gespräch führte Michael Sahli.