Unfassbar, was wir Schweizer für Probleme haben!
Wir beschäftigen uns mit der Beseitigung dürrer Blätter auf dem Trottoir – auf jenen in Gaza liegt meterhoch Schutt. Wir können Ja oder Nein sagen zu Laubbläsern – sie haben die Wahl zwischen einem Pfund Mehl oder drei Eiern, um die hungernden Kinder durchzubringen. Das Surren von Drohnen treibt in der Ukraine die Leute in die Luftschutzbunker – uns führt das Dröhnen der Laubbläser ins Abstimmungslokal. Wahrlich, das «Relevanz-Gefälle» ist enorm!
Uns wird das Abstimmungskuvert zugeschickt und nicht der Marschbefehl.
Die Welt ist ungerecht, und doch bringen solche Vergleiche nichts. Wir haben in der Schweiz nun mal weder Krieg noch Hungersnot, deshalb finden wir bereits weitaus weniger Schlimmes schlimm, das ist normal. Unsere Lebensrealität besteht eben nicht aus Tod und Zerstörung, sondern höchstens aus der Berichterstattung über Tod und Zerstörung.
Uns wird das Abstimmungskuvert zugeschickt und nicht der Marschbefehl. Bei uns herrscht nicht Krieg, sondern das Volk. Und deswegen müssen wir uns zum Beispiel mit der Frage befassen, ob benzinbetriebene Laubbläser überhaupt nicht mehr und elektrische nur von Oktober bis Dezember erlaubt sein sollen.
Demokratie ist, wenn man sich über jeden Scheiss aufregen und dann auch noch darüber abstimmen kann.
Man kann solche Vorlagen absurd finden, aber sie haben auch symbolischen Charakter: Volksbefragungen über solch Nebensächlichkeiten sind nämlich ein deutlicher Indikator für den Status der Freiheit und der Demokratie eines Landes. Umso mehr in Zeiten, in welchen immer mehr demokratisch gewählte Politiker zu Autokraten werden, und die Demokratie selbst in der ältesten Demokratie der Welt alt aussieht.
Freiheit und Demokratie ist, wenn man sich über jeden Scheiss aufregen und dann auch noch darüber abstimmen kann. Man könnte es so sagen: Wenn Bürgerinnen und Bürger über Laubbläser (oder Wolfsabschüsse oder Kuhhörner) abstimmen dürfen, dann herrscht in diesem Land sicher Friede und Freiheit! In diesem Sinn ist ein Urnengang über motorisierte Gartengeräte durchaus erstrebenswert.
Es ist alles relativ, die Masstäbe passen sich immer der unmittelbaren Realität an.
Es wäre also schön, wenn sich die Menschen in der Ukraine, in Gaza oder in welchen Kriegsgebieten auch immer, in absehbarer Zeit, wieder über den Lärm von Laubbläsern enervieren könnten – Schwerter zu Pflugscharen, Sturmgewehre zu Laubbläsern! Es ist alles relativ, die Massstäbe passen sich immer der unmittelbaren Realität an.
Nach der Annahme des Laubbläser-Verbots werden sich Zürcherinnen und Zürcher darüber aufregen, dass sein Vorplatz immer noch nicht vom Laub befreit ist, weil der Abwart mit dem Besen eben viermal so lange braucht.
Freuen wir uns auf die Abstimmung über die «Subventionierung von zusätzlichen Hauswartstellen infolge der negativen Auswirkungen durch die Einsatzbeschränkung Laubbläser und Laubsauger».