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Schatten über GV Novartis ignoriert Stimmgeheimnis der Aktionäre

Daten von GPS-Sendern belegen: Novartis leitet Wahlzettel von Aktionären um. Die Briefe kommen nicht zum Stimmrechtsvertreter, sondern werden vom Konzern ausgewertet.

  • Novartis leitet vor der Generalversammlung die Post für den unabhängigen Stimmrechtsvertreter direkt zur eigenen Firma um.
  • Der Verwaltungsratspräsident erfährt vorab die Ergebnisse der Auszählung.
  • Die Beschlüsse der Generalversammlung könnten deshalb vor Gericht angefochten werden.

Überraschungen sind bei Abstimmungen von Novartis nicht vorgesehen. Novartis-Präsident Jörg Reinhardt kennt bereits vor der Generalversammlung das Ergebnis – auf Basis von 95 Prozent der Stimmen. Recherchen der «Rundschau» zeigen, wie das geht.

Stimmgeheimnis bedroht

Novartis-Aktionäre erhalten vor der Generalversammlung Abstimmungsunterlagen. Die Couverts machen glauben, dass die Wahlzettel in der Kanzlei des Basler Anwalts Peter Andreas Zahn ankommen werden. Zahn ist der gewählte unabhängige Stimmrechtsvertreter für die Generalversammlung. Die «Rundschau» hat Stimmrechtscouverts mit GPS-Trackern bestückt. Die Datenauswertung belegt, dass die Briefstimmen umgeleitet werden.

Die Briefe gehen direkt an Novartis, wo sie geöffnet und ausgewertet werden. Aktionäre, die dachten, ihre Stimme sei durch das Anwaltsgeheimnis geschützt, werden enttäuscht: Der Pharmakonzern verfügt über die Abstimmungszettel mit dem Namen des Aktionärs. Wer über die Stimmzettel verfügt, kann das Stimmgeheimnis aushebeln.

Novartis hält Vorgehen für legal

Rechtsanwalt Peter Andreas Zahn erklärt schriftlich: «Die Verarbeitung von über 30'000 eingehenden Briefen erfordert einen grossen logistischen Aufwand, der die Kapazität einer Anwaltskanzlei sprengt.»

Ausserdem schreibt Zahn, dass er vorgängig den Verwaltungsratspräsidenten und wenn nötig weitere Personen über die Abstimmungstrends informiere. Novartis schreibt der «Rundschau»: «Wichtig ist uns festzuhalten, dass unser Vorgehen geltendem Recht entspricht.»

Harsche Kritik

Anderer Ansicht ist der parteilose Ständerat aus Schaffhausen, Thomas Minder. Der Vater der Abzocker-Initiative: «Das ist eine Schweinerei, das geht gar nicht.» Minder bezweifelt, dass das Vorgehen von Novartis legal ist. «Nehmen wir eine Kampfwahl oder eine Wahl für den Verwaltungsrat, dann kann der Verwaltungsrat noch mobilisieren für seine Seite – das geht nicht.» Minder will deshalb, dass das Stimmgeheimnis ins Gesetz geschrieben wird.

Kritik kommt auch von der Professorin für Wirtschaftsstrafrecht an der Hochschule Luzern, Monika Roth. Sie bewertet das Vorgehen von Novartis als «eine Umgehung der grundsätzlichen Regelung und des Sinns des unabhängigen Stimmrechtsvertreters. Das Wort ‹Unabhängigkeit› ist damit eigentlich schon erledigt.» Es sei vorstellbar, dass das ein Grund für die Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses sei, so Roth.

An die Unabhängigkeit des Stimmrechtsvertreters stelle das Gesetz dieselben hohen Anforderungen wie an eine Revisionsgesellschaft, erklärt Roth. Schon die Tatsache, dass bei Novartis die Couverts von Novartis-Mitarbeitern bearbeitet werden, sei unzulässig: «Es findet gar keine Trennung der Informationen mehr statt. Aber darauf verlässt sich der Aktionär.»

Laut einer Studie der Beraterfirma Inrade verzichten neben Novartis noch zwei andere grosse Firmen auf eine unabhängige Auszählung der Stimmen. Novartis erklärt dazu: «Wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Prozess verbesserungsfähig ist.»

«Rundschau»

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«Rundschau»

Mehr zum Thema in der « Rundschau » um 20.05 Uhr auf SRF 1.

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