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Schattenseite des «Baubooms» Es hagelt Einsprachen bei fast jedem Bauprojekt

Das Solothurner Baudepartement musste noch nie so viele Beschwerden behandeln wie 2021. Ein Erklärungsversuch.

Ein grösserer Sitzplatz, eine neue Wärmepumpe oder ein ganzes Fussballstadion: Wer in der Schweiz bauen will, braucht dafür eine Bewilligung. Ärgerlich für viele Bauherren: Zum Beispiel Nachbarn können Beschwerde dagegen erheben. Und sie tun es sehr oft. Das zeigen aktuelle Zahlen aus mehreren Kantonen.

Beim kantonalen Baudepartement in Solothurn verzeichnete man im Jahr 2021 einen Rekord: 225 Beschwerdefälle gab es. Eine Steigerung um 50 Prozent innerhalb von drei Jahren. Auch im Nachbarkanton Aargau haben die Juristinnen und Juristen im Baudepartement mehr zu tun. Hier hatte die Verwaltung deshalb sogar nach einem Personalausbau verlangt, wenn auch vergeblich.

Jahr Anzahl Beschwerdefälle (Kanton Solothurn)
2019 154
2020 195
2021 225

Die meisten Baugesuche werden allerdings direkt in den Gemeinden erledigt. Auch hier nehme die Zahl der Beschwerden zu, bestätigt Werner Gloor, Aargauer Kantonalpräsident der Bauverwaltungsfachleute. Doch wo liegen die Gründe?

Erklärung Nummer 1: Es gibt mehr Baugesuche

Die erste Erklärung ist banal: Es wird mehr gebaut in der Schweiz. Die Zahl der Baugesuche hat im Jahr 2020 zugenommen. Waren es 2019 im Bereich Hochbau noch rund 62'000 Gesuche, so stieg die Zahl im Jahr 2020 auf mehr als 68'000, wie der Branchendienst Bindexis mitteilt. Auch die Statistik zu den Bauinvestitionen des Bundesamts für Statistik zeigen einen lang anhaltenden «Bauboom».

Werner Gloor, Bauverwalter der Gemeinde Rothrist im westlichen Aargau, sieht einen Grund für den Anstieg der Bautätigkeit im neuen Raumplanungsgesetz: «Es gibt Rest-Grundstücke, die lange Zeit nicht überbaut waren. Nun werden diese plötzlich überbaut.» Das Gesetz verlangt, dass «verdichtet» wird. Bestehendes Bauland muss nun also überbaut werden.

«Die Nachbarn aber haben sich natürlich daran gewöhnt, dass sie noch etwas Grünfläche haben und beobachten deshalb sehr kritisch, was gebaut wird», so die Erklärung von Werner Gloor. Auch der neue Mobilfunk-Standard 5G bringe aktuell viele Baugesuche für neue Antennen. Diese lösten ebenfalls regelmässig Beschwerden aus.

Arbeiter arbeiten an einem Mobilfunkmast
Legende: Der Bau von neuen 5G-Mobilfunkantennen sorgt in den Gemeinden für viele Beschwerden. imago images (Symbolbild)

Erklärung Nummer 2: Es war Corona

Auch die Corona-Pandemie hat die Bautätigkeit beeinflusst. So fällt in den Zahlen der Firma Bindexis auf, dass es im Bereich «Anbau, Umbau, Abbruch» einen stärkeren Anstieg gibt bei den Baugesuchen als für Neubauten. Die These: Während der Pandemie haben Hausbesitzerinnen viel Zeit daheim verbracht und beschlossen, ihr Eigenheim zu verschönern.

Aber gleichzeitig haben auch Anwohnerinnen und Anwohner den Wert ihres Zuhauses entdeckt und beobachten deshalb Bauprojekte in ihrer Nachbarschaft vielleicht besonders argwöhnisch – was wiederum die steigende Zahl von Beschwerden gegen Baubewilligungen erklären könnte.

Nachweisbar sei der Einfluss der Corona-Pandemie natürlich nicht, heisst es bei Werner Gloor und beim Solothurner Baudepartement. Aber die Indizien deuten darauf hin, dass sich die Pandemie auch auf die Bau- und Beschwerdetätigkeit in der Schweiz ausgewirkt hat.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 27.06.2022, 6:32 Uhr ; 

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