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Schlittenmiete verboten Polizei ermittelt wegen Antisemitismus in Davos

Ein Restaurant in Davos vermietet keine Schneesportgeräte mehr an jüdische Gäste. Nicht zum ersten Mal macht die Tourismusdestination mit der Kontroverse um jüdische Feriengäste Schlagzeilen. Nun werden Ermittlungen aufgenommen.

    «Aufgrund verschiedener sehr ärgerlicher Vorfälle, darunter der Diebstahl eines Schlittens, vermieten wir keine Sportgeräte mehr an unsere jüdischen Brüder», lässt das Restaurant bei der Bergstation Pischa in Davos am Wochenende mit aufgehängten Schreiben in hebräischer Sprache verlauten.

Die Kantonspolizei bestätigte auf Anfrage von SRF den Sachverhalt. Sie erhielt am Sonntagmittag eine entsprechende Mitteilung einer Privatperson. «Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, hat die Kantonspolizei Graubünden die Ermittlungen aufgenommen», sagte Mediensprecher Roman Rüegg.

Ein Fall unter der Diskriminierungsstrafnorm?

Die rechtliche Grundlage findet sich im Strafgesetzbuch unter Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis StGB). «Hier könnte es zum Beispiel sein, dass eine Verletzung des Tatbestands vorliegt, weil eine Leistung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, also hier der jüdischen Bevölkerung, verweigert wurde», erklärt die Juristin Manuela Hugentobler von der Universität Bern.

Ein Mann arbeitet an einem Schlitten.
Legende: Zwei Kufen, drei Holzlatten und eine Schnur, um ihn zu ziehen: Der Davoser Schlitten ist laut Tourismus- und Sportzentrum Davos Klosters der meistbenutzte Schlitten auf der Welt. KEYSTONE/Christian Beutler

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) spricht von einem neuen «Level an Dreistigkeit». «Eine ganze Gästegruppe wird kollektiv abgekanzelt, aufgrund des Aussehens und der Herkunft», so SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. «Das ist komplett schockierend.»

Nicht zum ersten Mal Thema in Davos

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Für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund ist der Vermietstopp kein Einzellfall. In Davos liege einiges im Argen.

Es gebe Hotels, Restaurants und Läden, welche die jüdischen Gäste nicht herzlich willkommen heissen würden. «Erst letzten Sommer hat die lokale Tourismusorganisation die Zusammenarbeit mit uns und unserem Dialogprojekt auf Eis gelegt », so der SIG-Generalsekretär.

Damit sei nicht nur eine moralische und geschmackliche Grenze überschritten. «Wir werden rechtliche Schritte beziehungsweise eine Anzeige nach Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm einreichen», kündigte Kreutner an.

Das gehört nicht nach Davos.
Autor: Philipp Wilhelm Landammann von Davos

«Jede und auch diese Form von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung ist zu verurteilen», sagt Philipp Wilhelm, Landammann von Davos und Mitglied im Grossen Rat des Kantons Graubünden. «Das gehört nicht nach Davos.»

«Wir sind seit über 150 Jahren eine offene Tourismusdestination», so Wilhelm. Er fordert, dass der Dialog mit jüdisch-orthodoxen Vertreterinnen und Vertretern weitergeführt wird.

Geschichte vom jüdischen Davos

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  • 1897-1905: «Internationales Sanatorium» streng koscher geführt in Davos Dorf
  • 1903: Erste Petition für die Errichtung eines jüdischen Friedhofs abgelehnt; rund hundert jüdische Menschen lebten dauerhaft in Davos
  • 1905: Koschere Pension Schneider eröffnet
  • 1917: Vereinsgründung und internationales Fundraising für ein koscheres Kurhotel für jüdische Lungenkranke in Davos
  • 1919/20: Gründung einer jüdischen Gemeinde Davos
  • 1919: Eröffnung «Jüdische Heilstätte. Etania» mit Synagoge und Mikwe
  • 1931: Jüdischer Friedhof Davos
  • 1936: Mord am NSDAP-Landesgruppenleiter Davos Wilhelm Gustloff durch David Frankfurter
  • 1991: Heilstätte Etania («Jüdisches Heil- und Erholungszentrum Davos») schliesst
  • 2000er: Davos zieht vermehrt jüdisch-orthodoxe Gäste aus den USA, Israel, Belgien (Antwerpen) und der Schweiz an.
  • 2008: temporäre Synagoge und koscheres Restaurant im «holländischen Sanatorium»
  • 2015: Das Haus Etania wird renoviert und dient als koscheres Selbstservice-Hotel; der jüdische «Verein für Kranke» unterstützt weiter mittellose jüdische Kurgäste
  • 2019: Konflikt rund um die Tora-Einweihung für die Synagoge im Hotel Cresta, Davos Platz
  • 2019: Likrat Public – Vermittlungsprojekt des SIG (Schweizer Jüdischer Gemeindebund) startet an Schweizer Tourismus-Orten wie Davos
  • 2021: Gründung eines Vereins zur Etablierung einer Talmud-Tora-Schule in Davos
  • 2023: Davos Tourismus kündigt die Zusammenarbeit mit dem SIG und Likrat

(Judith Wipfler/ alemannia-judaica.de )

«Als Tourismusorganisation stehen wir mit allen Gruppen in Kontakt und versuchen, einen Dialog zu ermöglichen», sagt Reto Branschi, CEO der Tourismusorganisation Davos Klosters, zu Keystone-SDA. Gastfreundschaft und Zusammenleben könne nur funktionieren, wenn sich alle Seiten respektieren.

Ein Teil der jüdisch-orthodoxen Gäste verhält sich gegenüber Gastgebern manchmal enorm respektlos.
Autor: Reto Branschi CEO der Tourismusorganisation Davos Klosters

Der entsprechende Aushang stamme von einem einzelnen touristischen Anbieter und sei «sehr unglücklich formuliert» und nicht im Sinne der Destination Davos Klosters. «Wir distanzieren uns davon.» Branschi sagt aber auch, dass der Umgang mit einem Teil der orthodoxen jüdischen Gäste schwierig sei: «Dieser Teil tut sich schwer damit, sich an die Regeln hier zu halten und verhält sich gegenüber Gastgebern und anderen Dienstleistern manchmal enorm respektlos.»

Morgen ist Mieten wieder möglich

Im Gespräch mit SRF entschuldigt sich Ruedi Pfiffner vom Restaurant bei der Bergstation Pischa für die beim Aushang verwendete Formulierung. «Wir werden dieser Sache nachgehen und sie richtigstellen», so Pfiffner. Der Zettel sei abgehängt worden, jüdische Gäste sollen ab morgen wieder Material mieten dürfen.

Die Sportbahnen Pischa erklären, beim Restaurant handle es sich um eine extern verpachtete Lokalität der Bergbahn. Das Unternehmen war mit dem Sachverhalt nicht vertraut.

SRF 4 News, 12.02.2024, 15 Uhr, sda/flal;schc

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