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Schockierendes Rekruten-Video «Ich konnte sehen, wie ihn das gedemütigt hat»

Der Vater des Mobbing-Opfers in der RS ist ob der Vorgänge empört. Die Armee selbst will keine externe Anlaufstelle.

Der Tessiner Rekrut steht mit dem Rücken zu seinen Kameraden. Ein Vorgesetzter gibt den Befehl, und die anderen Rekruten bewerfen das Opfer mit Steinen und Baumnüssen.

Der junge Mann sei schon wochenlang von Vorgesetzten und Kameraden gemobbt und gedemütigt worden, berichtete sein Vater dem Tessiner Fernsehen RSI. «Mir hat es weh getan, das zu sehen. Weil ich meinen Sohn kenne, konnte ich sehen, wie sehr ihn das Ganze gedemütigt hat», so der Vater. Passiert ist die «Steinigung» Mitte September. Erfahren hat er von der Sache erst am Montag, als die Militärjustiz seinen Sohn befragte.

Mir hat es weh getan, das zu sehen. Weil ich meinen Sohn kenne, konnte ich sehen, wie sehr ihn das Ganze gedemütigt hat.

Der junge Mann hatte aus Scham und Angst nicht einmal seinen Eltern von seinen Qualen erzählt. Dabei habe es schon vor dem Video schwerwiegende Vorfälle gegeben. So sei der Feldweibel in der Unterkunft erschienen und habe ihm befohlen, die Hose runterzulassen – zum Gaudi der anderen Rekruten.

«Ich habe meinen Sohn gefragt, warum er es keinem gemeldet hat. Er sagte, er hätte Angst gehabt vor den Konsequenzen, weil der Feldweibel so gut mit den Vorgesetzten befreundet schien», sagt der Vater weiter.

Das Phänomen Gruppendynamik

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Bei Fällen wie diesem spielt die Gruppendynamik eine grosse Rolle. Das heisst, alle machen mit und realisieren gar nicht, was sie tun. Selbst wenn es etwas Dummes ist; ein Übergriff, der nicht in Ordnung ist. «Das passiert oft», sagt der Psychologe Allan Guggenbühl, der das Militär auch schon in Sachen Mobbing beraten hat. «Man nennt das ein ‹abaissement du niveau mental›» – ein Absenken der Schwelle des Bewusstseins. Die Beteiligten würden in einem halbanonymen Gruppenprozess die Kontrolle, die sie normalerweise über ihr Handeln haben, abgeben.

«Die Armeeführung hat mit Bestürzung von diesem Fall Kenntnis genommen», so Armeesprecher Daniel Reist. «Es geht nicht, dass so etwas passiert in der Armee, dass Rekruten von anderen misshandelt werden». Die Vorgesetzten würden während der Ausbildung zum Thema Mobbing sensibilisiert.

Allerdings hat die Armee dabei eher Rekruten als Täter im Visier. «Dass hier ausgerechnet ein Vorgesetzter den Befehl gegeben haben soll, macht die Sache wirklich schwierig», so Reist.

Politiker spricht von Gesellschaftsproblem

Der Fall des Tessiner Rekruten erschüttert auch Werner Salzmann, den Präsidenten der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. Er hat selber einen Sohn, der in der Schule gemobbt wurde. «So etwas ist absolut verwerflich. Da muss man mit aller Härte durchgreifen.» Es handle sich aber «nicht um ein Militärproblem, sondern um ein gesellschaftliches Problem».

Psychologe und Männerforscher Markus Theuner hat sich viel mit männlichen Opfern befasst. Scham sei der Grund, warum viele männliche Opfer schweigen. Gerade in der Armee müssten Männer ständig beweisen, dass sie «richtige» Männer sind. Es sei deshalb kein Zufall, dass in der Armee immer wieder solche «Einzelfälle» vorkommen.

Armee will keine Anlaufstelle

Theunert befürwortet eine externe Anlaufstelle für Opfer. Doch davon will die Armee nichts wissen. Die Armee biete intern einen psychologischen Dienst und eine Armeeseelsorge an, wohin sich Mobbingopfer wenden können, so Armeesprecher Reist. Diese seien unabhängig und deshalb externe Stellen.

Doch das Opfer konnte sich offenbar nicht überwinden, dort vorzusprechen.

Möglicher Straftatbestand und Strafmass

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Leichtere Mobbing-Fälle werden gemäss Armee-Medienstelle durch die Kommandanten «disziplinarisch geahndet und nicht zentral erfasst». Gröbere Verstösse – darunter Rassismus oder Sexismus – würden durch die Militärjustiz untersucht und geahndet.

Zudem habe jeder Armeeangehörige das Recht, rechtliche Schritte zu ergreifen und es stünden den Armeeangehörigen der psychologisch-pädagogische Dienst und die Armeeseelsorger als Ansprechstelle zur Verfügung.

Den fraglichen Fall untersucht die Militärjustiz derzeit. Der mögliche Tatbestand für den Kommandanten kann gemäss einem Untersuchungsrichter der Militärjustiz von Missbrauch der Befehlsgewalt, Gefährdung eines Untergebenen bis hin zu Tätlichkeit oder Nötigung reichen. Je nach Verurteilung reicht das Strafmass dabei von einem Verweis bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

Den Rekruten, die an der Tat beteiligt waren, droht dasselbe Strafmass wegen Körperverletzung. srf/muv

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