Eine 14-jährige syrische Kurdin, nennen wir sie Farah, wird in der Türkei mit ihrem Cousin verheiratet, der bereits volljährig ist. Sie kommt mit 16 Jahren mit ihm und einigen Verwandten in die Schweiz. Die Geschichte von Farah ist erfunden, aber sie ist ein typischer Fall einer Minderjährigenheirat.
Heute müsste sich Farah, bevor sie 18 Jahre alt ist, entscheiden, ob sie die Ehe annullieren lassen will. Eine schwierige Entscheidung, wie Anu Sivaganesan, Präsidentin der Fachstelle Zwangsheirat, erklärt.
«Kinder sind Kinder und keine Ehefrauen, so einfach ist es», sagt sie bestimmt. «Ich finde, Kinder und auch Jugendliche sollten die Chance haben, auch in diesem Alter ihren Wünschen und Bedürfnissen nachzugehen und sich nicht mit ehelichen Verpflichtungen auseinanderzusetzen.»
Kinder- und Minderjährigenheiraten nehmen zu
Es gebe viele negative Folgen von so frühen Heiraten, wie etwa Schul- und Bildungsabbrüche, erklärt Sivaganesan weiter. «Und natürlich auch Frühschwangerschaften, weil mit der Eheschliessung auch der Druck steigt, Kinder zu haben.» Auch hätten diese jungen Frauen ein höheres Risiko, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden.
Europaweit nehmen Kinder- und Minderjährigenheiraten zu, wie Beratungsstellen feststellen. Die Fachstelle Zwangsheirat hat 2022 rund 350 Fälle beraten und begleitet, bei 40 Prozent davon waren Minderjährige betroffen. Die Fachstelle geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Gründe für die Zunahme seien vielfältig, sagt Anu Sivaganesan. Teilweise habe es auch mit der Migration zu tun oder mit aktuellen Konflikten.
Gemäss Unicef hat es in Syrien vor dem Syrienkonflikt nicht sehr viele Fälle von Kinder- und Minderjährigenheiraten gegeben. Diese hätten dann aber zugenommen, beispielsweise in Flüchtlingslagern, etwa in Jordanien. Die Eltern seien der Ansicht, dass die Mädchen oder jungen Frauen durch eine Eheschliessung besser vor sexuellen Übergriffen geschützt seien, oder dass eine Ehe eine gewisse finanzielle Sicherheit gebe.
Im Fall von Farah würde sich auch mit der heute vom Ständerat gutgeheissenen Gesetzesänderung nicht viel ändern. Denn auch in Zukunft soll eine Ausnahmeregelung bestehen: Ehen von Minderjährigen sollen weiterbestehen können, wenn sie im Interesse der minderjährigen Person sind und sie damit einverstanden ist.
Gegen diese Ausnahmeregelung ist Anu Sivaganesan. «Wir würden es begrüssen, wenn diese Ausnahmeregelung gestrichen wird», sagt sie. «Es sollen einfach keine Ehen unter 18 Jahren anerkannt werden.» Denn es sei eine schwierige Situation für die Betroffenen und oft sei auch Druck von der Familie und dem Ehemann im Spiel.