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Schweiz 20 Jahre EWR-Nein: Nationalräte erinnern sich

Vor genau 20 Jahren, am 6. Dezember 1992, hat das Schweizer Stimmvolk ganz knapp Nein gesagt zu einem EWR-Beitritt. Das Parlament hatte damals für den Beitritt gestimmt. Seither hat sich in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der EU viel verändert. Nationalräte von 1992 erinnern sich und ziehen Bilanz.

Porträt von Alexander Tschäppät
Legende: Nationalrat (SP/BE), 1991 bis 2003 und seit 2011 bund

Alexander Tschäppät

«Ich befürwortete den EWR-Beitritt. Zum einen war und ist die Schweiz als starke Exportnation auf offene Märkte und den Abbau von Grenzen angewiesen. Genau das hätte der EWR gebracht. Zum anderen war und ist das Zusammenwachsen Europas ein grossartiges Friedensprojekt. Wobei man heute selbstkritisch eingestehen muss: In den letzten zehn Jahren war die EU weniger ein Friedensprojekt als vielmehr ein gigantisches Deregulierungs-Projekt. Skepsis gegenüber der EU ist daher auch aus der Sicht der SP angebracht.

Dass es ein knappes Resultat geben würde, war zu erwarten gewesen. Das Nein war dann aber nicht nur knapp, sondern sehr knapp. Die Bevölkerung war praktisch zweigeteilt. Von dieser Abstimmung hat sich die Schweiz nie erholt. So haben wir es seither nicht geschafft, unser Verhältnis zu Europa zu klären. Ich erinnere mich vor allem an FDP-Bundesrat Jean-Pascal Delamuarz, der am Abend der Abstimmung tief enttäuscht an der Pressekonferenz sagte: 'Das ist ein schwarzer Sonntag für die Schweiz'. Und er hatte wohl Recht: Was danach folgte, war ein Jahrzehnt, in welchem die Schweiz im Gegensatz zu Europa kaum Wachstum aufwies. Erst mit der Einführung der Personenfreizügigkeit und den bilateralen Verträge wurde es wirtschaftlich wieder besser.

Der EWR-Entscheid war eine der zentralsten Weichenstellungen der jüngeren Geschichte der Schweiz. Dessen war sich auch das Parlament bewusst. Und es ist das zentrale Thema geblieben. Ein Beispiel: Der Streit um das Steuerabkommen und den Flugverkehr mit Deutschland ist nichts anderes als eine direkte Folge des damaligen Neins zum EWR-Beitritt. Mit den wirtschaftlichen Problemen der EU dürften sich die Konflikte mit Brüssel weiter verschärfen. Die Schonzeit für die Schweiz scheint vorbei zu sein. Und damit holt uns das EWR-Nein wieder ein.»

Porträt von Toni Bortoluzzi
Legende: Nationalrat (SVP/ZH), 1991 bis heute bund

Toni Bortoluzzi

«Ich vermag mich recht gut an diesen Abstimmungskampf zu erinnern. Es war ein sehr emotionales Thema, das zu mobilisieren vermochte. Bei Podiumsgesprächen waren die Säle voll und 80 Prozent Stimmbeteiligung wurde seit dann nicht mehr erreicht.

Ich gehörte damals zur kleinen Gruppe von Gegnern, etwa 25 an der Zahl, die sich an vielen Veranstaltungen gegen den EWR aussprach. Warum: Der EWR ist ein Kolonialvertrag der sich mit der direkten Demokratie und dem Souveränität Verständnis der Schweiz nicht vereinbaren lässt.

Das Nein konnte nicht erwartet werden, weil sich der Bundesrat und die überwiegende Mehrheit des Parlaments für den Vertrag ausgesprochen hatten.

Die Stimmung im Parlament war angespannt, um nicht zu sagen gehässig. Das Thema bewegte ausserordentlich, ging es doch um die Erhaltung schweizerischer Errungenschaften. Der grosse Teil der politischen Elite sah den EWR als Zwischenschritt für den EU beitritt. Bundesrat Adolf Ogi nannte es Trainingslager.

Nach der Abstimmung wurden wir, die Gewinner von einem Teil der Verlierer wüst beschimpft und als Totengräber und Arbeitsplatzvernichter bezeichnet. Es führte zu einer Art Lähmung in der Politik die einige Monate wenn nicht Jahre anhielten. Die wichtigen Bilateralen Verträge bestanden schon seit Jahren, daran hat sich nichts geändert. Neue Bilaterale kamen erst einige Jahre später aufs Tapet, weil vorerst keine nötig waren.

Leider hat sich in den Verhandlungen der Geist des Beitritts in die EU bei unseren Bundesräten nach wie vor nicht beseitigen lassen. Das Resultat sind teilweise einseitige Verträge die den Interessen eines souveränen Staates zuwider laufen.»

Porträt von Trix Heberlein
Legende: FDP-Nationalrätin (FDP/SG), 1991 bis 2003 keystone

Trix Heberlein

«Ich war selbstverständlich für den EWR. Es war für mich die einzige und sinnvolle Alternative zum EU-Beitritt, den ich ablehnte, wie auch den Alleingang. Ich war sehr enttäuscht über das knappe Nein, nicht nur wegen allen vergeblichen Arbeiten oder Gesetzesanpassungen im Rat, sondern weil ich die negativen Konsequenzen befürchtete, wie wir sie heute erleben.

Der Nationalrat war sehr enttäuscht, die Kommissionen des Parlaments hatten während zahlreichen Sitzungen alle notwendigen Gesetzesanpassungen vorbereitet und diese waren im Parlament akzeptiert worden, Arbeiten, die nun vergebens waren.

Das Parlament war damals mit klaren Mehrheiten für den EWR, sonst wäre es ja gar nicht zur Volksabstimmung gekommen. Wie die Abstimmung im Parlament verlief, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich weiss nur noch, dass es sehr lange Sessionstage waren, bis der Vertrag und sämtliche Gesetzesänderungen durchberaten waren.

Das Thema der Bilateralen Verhandlungen wurde bald danach aufgenommen, weil man sich bewusst war, dass unser Land, das weitgehend vom Export lebt, das mitten in Europa platziert ist, nicht ein Inseldasein fristen kann.

Die Ausgangslage ist für unser Land sehr schwierig geworden, nicht allein wegen der EWR- Abstimmung, sondern weil wir viel Zeit und Energie aufwenden müssen für bilaterale Verhandlungen und die Erarbeitung von Verträgen. Die Abkommen müssen dann von beiden Ländern genehmigt werden, von den Parlamenten und bei uns teilweise auch noch vom Volk. Eine Kündigung der Bilateralen Verträge hätte für unser Land verheerende Konsequenzen.»

Porträt von Duri Bezzola
Legende: Nationalrat FDP/GR, 1991 bis 2007 keystone

Duri Bezzola

«Ich war gegen einen EWR-Beitritt. Für mich standen damals die Neutralität und die Souveränität, der Föderalismus und die direkte Demokratie auf dem Spiel.

Das Resultat war äusserst knapp weil eine Mitgliedschaft dennoch viele wirtschaftliche Vorteile gebracht hätten – aber auch Nachteile. Im Jahr 1992 war der EWR DAS Thema. Die Debatten in den Räten, Fraktionen, Kommissionen waren intensiv und zum Teil sehr emotional. Die Vor- und Nachteile eines Alleingangs sind je nach Zugehörigkeit, Partei, Exportwirtschaft oder Seite des Röstigrabens verschieden gewichtet worden. Dennoch haben National- und Ständerat dem Vertragswerk klar zugestimmt.

Das Resultat der Volksabstimmung war knapp, aber ein Nein. Die Vorwürfe der Befürworter waren massiv. Die Schweiz musste sich organisieren um ohne Verzug mit den komplexen Verhandlungen mit unserem Partner EU aufzunehmen. Die knappe Entscheidung der Bevölkerung musste umgesetzt werden, der lange, steinige Weg der bilateralen Abkommen musste ohne Verzug in Angriff genommen werden.

Seither hat sich vieles verändert. Die EU ist mächtiger und grösser und komplexer geworden. Die Globalisierung ist beschleunigt worden. Der Alleingang hat das Swissair-Debakel verschärft. Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Finanzplatz sind verschlechtert worden. Die Verhandlungen mit der erweiterten EU über die Bilateralen-Verträge, über Staatsverträge usw. werden immer schwieriger.

Heute, 20 Jahre nach dem knappen Volksentscheid 'Alleingang', glaube ich, dass ein EWR-Beitritt unserem Land vieles erspart und mehr Vorteile als Nachteile gebracht hätte.»

Portrtät von Ruedi Baumann
Legende: Nationalrat (Grüne/BE), 1991 bis 2001 keystone

Ruedi Baumann

«Ich war für den EWR (und bin immer noch für den EU-Beitritt) und habe mich damals mit vielen Parteikollegen auch öffentlich gestritten. Leider haben die Grünen den EWR mehrheitlich abgelehnt.

Natürlich wurde im Parlament viel und heftig gestritten. Meine damalige und heutige Position: Lieber mitbestimmen als nachvollziehen. Ich glaube, dass nach einem EWR-Ja auch ein EU-Beitritt möglich geworden wäre.

Ein knappes Resultat wurde erwartet. Das Volksnein hat die Schweiz in der Folge zum europäischen Sonderling gemacht und den Aufstieg der Rechtspopulisten ermöglicht. Die Volksabstimmung mit 78 Prozent Stimmbeteiligung ging knapp verloren (das Ständemehr war allerdings deutlich). Die Rechtspopulisten triumphierten und führten ihre Hetztiraden gegen alles Europäische weiter – bis heute.

Die Grünen rieben sich die Augen… Aber sie waren fortan klare Befürworter des EU-Beitritts. Ich habe öffentlich angekündigt, wenn die Schweiz schon nicht EU-Mitglied werden wolle, ich persönlich wolle es werden. Seit 2005 sind wir, meine Frau Stephanie und ich, Française und Français und haben einen europäischen Pass. Seitdem nehmen wir aktiv an französischen und europäischen Wahlen und Abstimmungen teil. Europa und die EU sind viel besser als ihr Ruf in der Schweiz.»

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