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Schweiz Anwalt der Familie von Adeline: «Bin empört über die Gutachter»

Die Richter in Genf haben entschieden: Vor Weiterführung des Prozesses muss ein weiteres psychiatrisches Gutachten erstellt werden. Das letzte Gutachten wurde offenbar unter Zeitdruck erstellt.

Das Genfer Kriminalgericht hat im Prozess um die Tötung der Sozialtherapeutin Adeline ein drittes psychiatrisches Gutachten angeordnet. Denn eines der beiden Gutachten war ungenügend.

Generalstaatsanwalt Olivier Jornot wollte von den Experten, die das Gutachten erstellt hatten, wissen, ob sie den Angeklagten zu wichtigen Details überhaupt befragt hatten. Als Beispiel: Fabrice A. hatte eine Szene aus dem Film «Brave Heart» in einer Endlosschlaufe angeschaut. In der Szene wurde einer Frau die Kehle durchgeschnitten. Notizen zur Filmszene hatte Fabrice A. am Tattag bei sich. Im Bericht der Experten ist dazu nichts zu lesen.

Die Franzosen antworteten nur ausweichend und einem rutschen die Worte heraus, sie hätten im Gutachten nicht absichtlich Fakten weggelassen, um den Gegner zu täuschen.

«Ein Raunen ging durch den vollgefüllten Saal des Justizpalastes in Genf», berichtet SRF-Korrespondentin Barbara Colpi. Der Generalstaatsanwalt schäumte vor Wut und bemerkte sarkastisch, wer denn in einem neutralen Gutachten die Gegner seien.

Gutachten sind wichtig

Grund genug für die Richter zum Schluss zu kommen, das Gutachten nicht zur Beurteilung des Falles beizuziehen und ein weiteres unabhängiges psychiatrisches Gutachten zu verlangen. Offenbar hat einer der beiden französischen Experten das Dossier zum Fall erst an dem Tag erhalten, an dem er den Angeklagten befragte.

Diese Gutachten spielen eine zentrale Rolle, denn es geht um die Frage, ob der Angeklagte lebenslänglich verwahrt werden soll.

Familie will nicht mehr heute aussagen

Der Anwalt der Familie, Simon Ntah, war empört: «Ich bin wütend, dass Experten vor Gericht auftreten und sagen, dass sie den Fall kennen und einen Tag lang aussagen. Und dann stellt man fest, dass sie das Dossier kaum studiert haben.»

Für die Angehörigen des Opfers ist der Prozessaufschub schwer zu ertragen. Sie wollen nun nicht mehr heute Donnerstag aussagen. Die Familie werde aussagen, wenn der Prozess fortgesetzt werde, sagte ihr Anwalt.

Generalstaatsanwalt Jornot meinte, der Entscheid vergrössere die Trauer der Angehörigen, wenn sie in sechs Monaten erneut antreten müssten.

Die Verteidigung stellt sich gegen die Einholung eines dritten Gutachtens. Das verletze das Beschleunigungsgebot, wonach Strafverfahren unverzüglich an die Hand genommen und ohne unbegründete Verzögerungen zum Abschluss geführt werden müssten.

Gespaltene Persönlichkeit

Die zwei französischen Gutachter machten für den Täter ein sehr hohes Rückfallrisiko aus. Fabrice A. habe eine gespaltene Persönlichkeit, sei extrem narzisstisch und pervers.

Einerseits könne Fabrice A. ganz normal erscheinen, sich andererseits aber grausam verhalten. Die Gutachter verglichen ihn mit einem Kaleidoskop, in dem man alles und das Gegenteil sehe. Seine gespaltene Persönlichkeit zeige sich auch beim Umgang mit Frauen.

Der 42-jährige Angeklagte idealisiere Frauen, entwickle aber zugleich Hass. Seine polnische Ex-Freundin, zu der er flüchten wollte, beschrieb er als die perfekte Frau. Dennoch habe er sie töten wollen, weil sie ihn verlassen und er sich deshalb gedemütigt gefühlt habe.

Auch die Sozialtherapeutin Adeline habe er als Frau ohne Makel beschrieben, sagte ein Spezialist für Serientäter. Er habe sie ausgesucht, weil sie freundlich und warmherzig gewesen sei. Aber dieses Idealbild habe Aggressionen bei ihm ausgelöst.

Anklage lautet auf Mord

Der Angeklagte steht seit Montag wegen des Tötungsdeliktes vor Gericht. Er hat gestanden, der 34-jährigen Sozialtherapeutin Adeline während eines Freigangs am 12. September 2013 die Kehle durchgeschnitten zu haben. Er bestreitet jedoch, die Tat geplant zu haben.

Dem 42-Jährigen werden Mord, Freiheitsberaubung, sexuelle Nötigung und Diebstahl vorgeworfen.

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