Der Alarm geht ab. Ein Bub liegt in der Klappe, eingewickelt in eine Jacke. Am 5. September 2002 hat jemand im Spital Einsiedeln (SZ) erstmals in der Schweiz ein Baby eine Babyfenster gelegt – die Klappe wurde 2001 eröffnet. Seither kamen sieben Neugeborene dazu, das letzte im Februar dieses Jahres.
Lange war die Klappe in Einsiedeln die einzige in der Schweiz. Das Spital Davos bietet seit 2012 ein Babyfenster – bisher blieb es leer.
Olten ist gut erreichbar
Nun ist im Kantonsspital Olten ein drittes Babyfenster eröffnet worden. Das Solothurner Kantonsparlament hatte einen SVP-Antrag einstimmig angenommen. Die Sprecher der Fraktionen wiesen vor allem auf den idealen Standort hin, weil er gut an den überregionalen öffentlichen Verkehr angebunden sei.
Sobald das Kind in der Klappe liegt, wird es ärztlich untersucht. Dann kommt es vorübergehend in eine Pflegefamilie. Die leiblichen Eltern haben sechs Wochen Zeit, das Kind zurückzuverlangen. Danach kümmert sich die Vormundschaftsbehörde um die Adoption.
Hinter den Babyklappen steht die Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind (SHMK), ein christlich-karitatives Hilfswerk. Die SHMK meint, das Angebot unterstütze Mütter in extremen Notlagen. Etwa für Drogensüchtige oder Frauen, die ihre Schwangerschaft aus familiären oder religiösen Gründen geheim halten mussten.
Die Befürworter des Babyfensters wollen verhindern, dass Mütter ihre ungewollten Kinder aussetzen oder gar töten. Eine Studie der SHMK besagt: Seit 2001 sei die Zahl der getöteten oder ausgesetzten Babys in der Schweiz zurückgegangen.
Die Studie zeigt allerdings: Diese Fälle bewegen sich im einstelligen Bereich. Repräsentativer sind Untersuchungen in Deutschland, und diese kommen zu einem anderen Schluss.
Jahr für Jahr werden in Deutschland zwischen 20 und 40 Kinder ausgesetzt oder nach der Geburt getötet – obwohl 60 Babyklappen existieren. Die Dunkelziffer der Opfer dürfte um einiges höher sein. Laut Schätzungen kommt auf ein erkanntes mindestens ein unerkanntes Tötungsdelikt.
Gegen die Kinderrechte
1999 wurden in Deutschland die ersten Klappen errichtet. Sie hätte helfen sollen, die Tötungsdelikte zu senken. Doch dieses Ziel wurde laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts verfehlt. Angebote wie die Babyklappe oder die anonyme Geburt (s. Kasten) erreichen laut den Studien nicht die Frauen, die so verzweifelt sind, ihr Neugeborenes zu töten.
«Dass Babyklappen Menschenleben retten, ist reine Spekulation.» Das sagt Michael Marugg vom Netzwerk Kinderrechte Schweiz zu SRF News Online. Kritiker machen zudem auf ein weiteres grosses Problem aufmerksam: Die Klappe steht im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention. Danach hat ein Kind das Recht, seine Herkunft zu kennen. Die meisten anonym abgegebenen Kinder erfahren nie, wer ihre Eltern sind. Dafür fehlen die nötigen Papiere.
«Es kann zu psychischen Problemen führen, wenn man nicht herausfindet, wer die eigenen Eltern sind. Dies ist kaum vorstellbar, wenn man nicht selber davon betroffen ist», so Marugg.
Personalien in versiegeltem Couvert
Eine gesetzlich geregelte vertrauliche Geburt wäre gemäss Marugg eine Lösung. In Deutschland ist derzeit darüber eine Debatte im Gang: Die Bundesregierung diskutierte Mitte Mai über einen entsprechenden Gesetztesentwurf. Eine werdende Mutter könnte demnach im Spital entbinden, ohne dass sie ihre Identität unmittelbar bekannt geben muss. Die Angaben über ihre Person werden in einem versiegelten Umschlag aufbewahrt. Das Kind darf im Alter von 16 Jahren die Informationen anfordern.
Eine ähnlicher Idee hatte SP-Nationalrat Andy Tschümperlin 2009. Der Name seiner parlamentarischen Initiative: «Diskrete Geburt als Ausweg aus einem Dilemma». Sie hätte eine Grundlage schaffen sollen, um anonyme Geburten ausnahmsweise möglich zu machen. Die nationalrätliche Kommission lehnte die Initiative ab.
Stattdessen werden weitere Babyfenster geöffnet. In mehreren Kantonen wird darüber diskutiert. Bald steht die nächste Eröffnung bevor. Voraussichtlich noch Ende dieses Jahres. In Bellinzona.