Für einige ist es ein Jahreslohn, für Matti Aapro sind die 97'000 Franken, die er letztes Jahr von der Pharmaindustrie bekommen hat, bloss ein Zuschuss. Aapro ist Krebsspezialist in der Privatklinik Genolier im Waadtland. 2015 hat er von allen Ärzten in der Schweiz am meisten Pharma-Geld angenommen. Zumindest gemäss Zahlen, welche die Pharmaunternehmen publiziert haben und von SRF Data ausgewertet wurden . Allerdings: Die Angaben sind freiwillig, viele Ärzte, die Geld von der Pharmabranche bekommen, wollen anonym bleiben.
Keinerlei Bedenken beim Spitzenreiter
Spitzenreiter Aapro sagt, er habe 2015 einen Kongress in Österreich organisiert, unterstützt von vier verschiedenen Pharmafirmen. Der grösste Teil der 97'000 Franken sei dorthin geflossen, nicht auf sein Konto – bloss 20'000 Franken gehörten wirklich ihm.
Und er stehe dazu, dass er Geld von der Pharmabranche bekomme, schliesslich tue er dafür auch neben dem erwähnten Kongress einiges: «Ich schaue, dass alles korrekt abläuft, wenn die Branche neue Medikamente entwickelt.»
Für einen Stundenlohn von 250 Franken lässt sich kein Arzt kaufen.
Dafür bezahlen ihn Firmen wie Novartis und Sandoz, überweisen ihm Honorare und Reisespesen. Er bestreitet, dass er sich von diesen Firmen abhängig macht und seinen Patienten nur noch deren Medikamente verschreibt: «Für einen Stundenlohn von 250 Franken lässt sich kein Arzt kaufen.»
Noch kleiner werde die Gefahr dadurch, dass die meisten Ärzte Geld von mehreren Pharmafirmen bekämen, also nicht von einem einzigen Unternehmen abhängig seien. Das stimmt. Und meistens geht es auch nicht um viel Geld. Eine Handvoll Ärzte allerdings erhält – wie Matti Aapro – mehrere zehntausend Franken.
Braucht es die Zuschüsse der Pharma-Industrie?
Zu ihnen gehört auch der Basler Gynäkologe Johannes Bitzer. Letztes Jahr haben ihm Firmen wie Bayer und Merck insgesamt 53'000 Franken überwiesen. Er sagt, er habe das Geld für Vorträge erhalten. Vorträge, für die er vorher einen Vertrag unterschreibe: «Ich mache den Firmen klar, dass sie keinerlei Einflussmöglichkeit auf den Inhalt der Vorträge haben.»
Ausserdem wüssten immer alle Zuhörer, wer ihn als Redner bezahle. Auch Bitzer besteht darauf, dass er als Arzt unabhängig handle. Er sagt sogar: Es brauche das Geld der Pharma-Industrie, damit die Weiterbildung der Ärzte und die Entwicklung neuer Medikamente überhaupt möglich seien.
Wenn das so ist, warum stehen dann nicht alle Ärzte dazu, dass sie Geld von Pharmafirmen bekommen? «Ich denke, weil sehr schnell der Rückschluss erfolgt: ‹Dieser Arzt hat Geld von der Pharmaindustrie bekommen, er wurde bestochen›.»
Patientenschutz alarmiert
Ein naheliegender Verdacht, findet Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz, angesichts der hohen Beträge: «Bei so hohen Beträgen sind sie natürlich Partei und werden auch die Medikamente verwenden, die so von den jeweiligen Firmen bekommen.»
Mehrere Studien geben Kessler recht. Die Patientenschützerin wünscht sich deshalb, dass wirklich alle Ärzte ihre Honorare offenlegen – so dass Patienten leichter überprüfen können, ob Ärzte auch einmal Medikamente einer Firma verschreiben, von der sie kein Geld bekommen. Medikamente, die genauso wirksam seien, aber vielleicht günstiger.
Die fetten Jahre sind vorbei
Umfassende Transparenz brauche Zeit, werde sich aber durchsetzen, sagt Thomas Cueni vom Lobbyverband Interpharma. Die Zeit des «Ärzte-Kaufens» sei vorbei: «Ich habe von einigen Ärzten gehört, die Pharma-Industrie sei von einem Extrem ins andere gefallen.» So gelte die Branche heute gar als knausrig, vorbei sei es mit teuren Hotels und gutem Essen für Ärzte.
Bis die Öffentlichkeit aber alle Geldflüsse der Pharmabranche kennt, dürfte es noch dauern: Heute machen erst zwei Drittel der Firmen publik, wem sie welche Summen überweisen.
Warum wir keine Ärzte-Namen publizieren
Ziel der Transparenzinitiative sollte sein, mögliche Interessenkonflikte von Ärzten und Organisationen offenzulegen. Ein Patient soll so herausfinden können, ob und wie viel Geld der behandelnde Arzt von einer Firma bekommen hat. Die bisher deklarierten Daten des Pharma-Kooperations-Kodexes lassen dies nicht zu: Die Empfänger von 53 Prozent der Gesamtsumme – 74 von total 140 Millionen Franken – sind zurzeit anonym. Ob ein Arzt darin enthalten ist oder nicht, lässt sich nicht beantworten. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die wesentlichen Interessenkonflikte im Dunkeln bleiben. Im Moment werden so transparente Ärzte an den Pranger gestellt, intransparente bleiben aber anonym. Deshalb hat sich SRF gegen eine Publikation einzelner Ärzte-Namen entschieden – mit Ausnahme einiger Spitzenreiter, die hier Stellung nehmen können.
Mitarbeit: Salim Brüggemann, Anita Bünter, Julian Schmidli