Zum Inhalt springen

Schweiz Heroin «Made in Switzerland»

Die Drogenszene in Zürich sorgte in den 1990er Jahren international für Schlagzeilen. Daraufhin wagte die Schweiz den Schritt mit der kontrollierten Heroinabgabe. Beschafft und verteilt wird der Stoff durch eine eigens dafür gegründete Firma. Erstmals hat diese einem Journalisten Einlass gewährt.

Ein grosses älteres Haus im Berner Oberland. Kein Schild, keine Klingel dafür eine gut getarnte Überwachungskamera. Nichts deutet auf das Heroin-Labor im ersten Stock hin. Der Firmeninhaber, ein sportlicher, braun gebrannter Mittfünfziger erscheint gleich persönlich und führt die Treppe hoch und durch eine schwere Metalltür.

Dahinter befindet sich das Labor, es sieht einer grossen Küche ähnlich, und drei Büros mit blauem Spannteppich und leer gefegten Arbeitsplätzen. Die zwei Angestellten mögen keine Journalisten, sind deshalb nicht da. Die Besitzer der Firma, ein Deutscher und sein Schweizer Partner, wollen anonym bleiben. Sie haben als einzige im Land die Erlaubnis, Heroin herzustellen.

Reines Heroin wurde einst von Bayer hergestellt

Der Deutsche, nennen wir ihn Müller, widerspricht: «Wir stellen kein Heroin her.» Sondern: «Diamorphin. Das ist eigentlich das chemisch reine Heroin. Das, was Bayer früher, vor dem Ersten Weltkrieg, hergestellt hat.»

Ein Häufchen weisses Pulver auf einem dunklen Teller.
Legende: Die Beschaffung der reinen Substanz war das schwierigste Unterfangen für das Labor. Reuters

Reiner Stoff also – besser als das gestreckte Heroin, das Süchtige auf der Gasse bekommen. Der Inhaber der Firma wurde vor 20 Jahren vom Bundesamt für Gesundheit BAG angeheuert, um reines Heroin anzuschaffen. Die Anfänge waren schwer: «Das grösste Problem war tatsächlich, erst einmal die Substanz an sich von der chemischen Industrie zu kriegen.»

Zuerst lieferte ein französisches Pharmaunternehmen. Es musste aber aussteigen, nachdem das Geschäft öffentlich wurde. Nun kommt der Stoff aus Grossbritannien. Von der Mohnpflanze, die in Tasmanien oder Südfrankreich unter Aufsicht der UNO angepflanzt wird, bis zum fertigen Wirkstoff, geschieht die Verarbeitung im Ausland.

Auftrag für Novartis und Roche zu heikel

Den Schweizer Pharmamultis war der Auftrag zu heikel. «Man hat vom Amt her natürlich alle Grossen angefragt. Novartis, Roche. Die haben die Hände verworfen. Nie im Leben würden die so etwas machen.» Ein kleines Schweizer Pharmaunternehmen stellt nun schliesslich das effektive Medikament her.

Die Sicherheitsvorschriften für die Lagerung sind massiv. Auch der Transport zu den Heroin-Abgabestellen geschieht unter höchsten Vorsichtsmassnahmen. «Da gibt es Infrastrukturen, auf die man zurückgreifen kann, die normalerweise ganz etwas anderes transportieren, zum Beispiel Goldbarren, Bargeld, Juwelen. Genau diesen Service nutzen wir auch», sagt Müller.

Export in andere Länder mit Heroin-Abgabe

In Panzerwagen und mit Handschellen gesicherten Koffern gelangt das synthetische Heroin zur Abgabestelle. Ein Viertel der Medikamente wird exportiert. «Wir unterstützen die heroingestützte Behandlung in Dänemark und Deutschland. Die Studien in Kanada haben wir unterstützt. Das Wenige, das in Grossbritannien und Spanien gemacht wurde, haben wir unterstützt. Es wird also schon Ware exportiert.»

Die Qualität des Stoffes wird im eigenen Labor im Berner Oberland überprüft. «Bei uns ist immer der Gehalt an Restwasser eine grosse Frage. Weil die Substanz chemisch instabil ist, wenn Wasser zugegen ist. Also müssen wir uns um die Restfeuchte kümmern. Eine wässrige Lösung von Heroin zersetzt sich binnen zwei Tagen wieder zurück zu Morphin, mit Zwischenprodukten. Aber es ist kaputt hinterher.»

Schwarzmarktwert von über 200 Millionen Franken

Müller hält ein Glasfläschchen mit einem weissen Pulver hoch, ein zweites holt er aus dem Kühlschrank und hält es gegen das Licht. Die Flüssigkeit darin schimmert leicht bräunlich. Aufgelöstes Diamorphin, bereit zum Aufziehen und in die Vene Schiessen.

Auf dem grossen Tisch in der Mitte des küchenartigen Labors, wo der Boden knarrt und die Analysegeräte zum Teil ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben, liegen einige Packungen des Medikamentes. Je 100 Tabletten zu 200 Milligramm – die Alternative zur Spritze. Eine Erfindung von Müllers Firma, die jährlich 250 Kilogramm reines Heroin mit einem Schwarzmarktwert von über 200 Millionen Franken vertreibt.

Doch daraus macht sich der Kleinunternehmer nichts. «Diese Rechnung mit dem Schwarzmarktwert ist ein Ding, um interessant zu scheinen. Sie können das anders herum rechnen. Was hätten die Patienten auf dem Schwarzmarkt ausgegeben, um sich genauso zu versorgen, wie sie von uns versorgt werden?»

Süchtige zahlen sieben bis zehn Franken pro Tag

Der einzige legale Versorger von Heroin in der Schweiz ist zu sozialverträglichen Preisen verpflichtet. Das heisst: «Eine konkrete Zahl: Rein für die Substanz wird man am Tag so um sieben bis zehn Franken aufwenden müssen.» Der jährliche Umsatz liegt also im einstelligen Millionenbereich.

Müllers Margen sind für die Pharmaindustrie tief. Dafür ist das Geschäft stabil. Seit über einem Jahrzehnt schon hat er eine Stammkundsschaft von rund 1500 Schwerstsüchtigen. Damit wird er nicht reich. Aber Müller meint: «Das letzte Hemd hat keine Taschen, und ich kann nur ein Kotelett am Tag essen.»

Meistgelesene Artikel