Seit rund zehn Jahren fordert die Europäische Union ein allgemeingültiges Verfahren für Rechtsstreitigkeiten mit der Schweiz. Der aktuelle Schweizer Vorschlag, das so genannte «EuGH-Modell», scheint aber nicht umsetzbar.
EU-Gerichtshof kann nur verbindliche Gutachten erstellen
Der neue Präsident des EU-Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts, äussert sich gegenüber «10vor10» erstmals zum Vorschlag des Bundesrates: «Die zentrale Rolle dieses Gerichtshofes ist es, Entscheidungen zu treffen, die verbindlich sind», sagt der oberste EU-Richter. Dass sein Gerichtshof lediglich unverbindliche Gutachten zuhanden der Politik erstelle, sei EU-verfassungsrechtlich schlicht nicht möglich.
Der EuGH verfasse zwar in bestimmten Fällen durchaus Gutachten, sagt Lenaerts. Aber auch die seien absolut verbindlich. Mit anderen Worten: EU-Vertreter haben nicht das Recht, etwas zu entscheiden, was dem Inhalt dieser Gutachten widerspricht.
Schweiz wird sich nicht dem EuGH unterstellen
Angesichts dieser Ausgangslage, auf die in Brüssel seit längerem hingewiesen wird , fordern in der Schweiz Politiker verschiedener Parteien mittlerweile eine Alternative zum «EuGH-Modell». Denn auch die Schweiz ist im entscheidenden Punkt nicht zu Konzessionen bereit.
Zwar schreibt das Aussendepartement EDA in einer Stellungnahme zu Lenaerts' Erläuterungen, die genaue Rolle des EuGH sei in den laufenden Verhandlungen zu den institutionellen Fragen noch nicht geklärt. Gleichzeitig heisst es im Schreiben aber auch, die Schweiz werde «als Nicht-EU-Mitglied immer selbständig und souverän beurteilen, ob sie einen Entscheid des EuGH akzeptieren will oder nicht, einschliesslich möglicher Folgen für die bilateralen Beziehungen mit der EU.»
Letztere stehen also nicht nur angesichts der bevorstehenden Umsetzung der Zuwanderungsinitiative vor einer höchst ungewissen Zukunft. Ohne Einigung über den Umgang mit Streitfällen werden zumindest neue bilaterale Abkommen wie beispielsweise über den Zugang der Schweiz zum EU-Strom oder -Finanzmarkt schwerlich zustande kommen.
(«10v10» vom 2.11.)