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Corona als Härtetest für den Föderalismus
Aus 10 vor 10 vom 26.02.2021.
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Schweiz in der Coronakrise Föderalismus: Ein Gewinn – auch ohne Pommes frites

Der Knatsch um offene Skiterrassen mag viele nerven, obwohl er zeigt: Föderalismus lebt. Auch wenn es um warme Pommes frites geht. Aber vor allem ist er wichtig, wenn’s um Arbeitsrecht geht, um Steuergelder oder um Leben und Tod.

Einige Seiten im Geschichtsbuch zurückgeblättert finden wir das Glarner Fabrikgesetz. Mitte des 19. Jahrhunderts preschte Glarus vor und beschloss schweizweit die ersten Hygiene- und arbeitsrechtlichen Schutzmassnahmen für Fabrikarbeiter. Warum Glarus? Die Glarner Talschaft war früher industrialisiert als andere Kantone. Die misslichen Lebensumstände der Fabrikarbeiter deshalb im ganzen Tal bekannt, das Problem nah bei den Leuten – kantonale Gesetze die Folge.

Das Beispiel zeigt: Wer nah an den Problemen ist, kann gezielt(er) handeln. Man nennt dieses Prinzip «Subsidiarität». Es beginnt beim einzelnen Bürger, der am besten weiss, was gut für ihn ist und möglichst frei entscheiden soll. Als nächste Ebene kommt die Gemeinde, dann der Kanton und zum Schluss der Bund. Von unten hinauf statt von oben herab.

Kantone sollen möglichst selber entscheiden

Dieses Subsidiaritäts-Prinzip wird gelebt durch den Föderalismus: Kantone sollen möglichst selber entscheiden – und eben auch: unterschiedlich entscheiden, nach eigenem Wunsch und Bedürfnis. Es gibt in der Schweizer Geschichte Dutzende weitere Beispiele dafür, wie sinnvoll das ist.

2016 beeindruckte der Steuerkompromiss im Waadtland. Weil wegen der nationalen Unternehmenssteuerreform III dem Kanton ein Milliarden-Verlust drohte (und anderen auch), hat die Waadtländer Regierung ein Reformpaket geschnürt, das andere Kantone vor Neid erblassen lässt.

Auch jüngst, vor einem Jahr: Zum Schutze vor dem grassierenden und tödlichen Coronavirus schloss das Tessin als einziger Kanton die Baustellen und Industriebetriebe. Entgegen den Weisungen des Bundes. Weil die kantonalen Behörden sahen, dass es richtig und nötig war. Der Bund brauchte dazu länger (denn er wollte eine Regel, die für alle Kantone funktioniert, was eben nicht funktionierte) – und bewilligte im Nachhinein den Tessiner Alleingang mit einer Lex Covid Ticinese.

Obwohl diese kantonalen Regelungen immer wieder zu guten und passgenauen Lösungen führen, gerät der Föderalismus in Zeiten der Krise in Verruf: Abschätzig ist vom Sonderzügli die Rede, vom Kantönligeist und vom Flickenteppich.

Zu wertvoll für Schabernack

Föderalismus aber sollte kein Bauchweh machen. Warme Pommes frites sind kein Grund für Ketchup zwischen den Kantonen. Erst recht nicht in einer Krise. Unterschiedliche Massnahmen müssen einleuchten. Deshalb ist es schade, wenn einzelne Kantone ihre föderale Macht überstrapazieren oder allzu stark rumschlaumeiern wie jetzt bei der Auslegung des Begriffs «Takeaway». Wenngleich der Bund – das muss gesagt sein – mit seiner interpretationsbedürftigen Verordnung zu kantonalen Spitzfindigkeiten geradezu einlud.

Der Föderalismus ist wertvoll für die Schweiz, zu wertvoll für Schabernack. Föderalismus muss von allen mitgetragen und verstanden werden. Dann ist er ein Gewinn, auch in der Krise.

Michael Perricone

Michael Perricone

Chef vom Dienst, SRF Newsroom

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Michael Perricone ist Chef vom Dienst in SRF Newsroom und gibt am Medienausbildungszentrum MAZ einen Kurs für Journalistinnen und Journalisten zum Umgang mit PR. Er hat 2011 als Leiter Ressort Politik bei der «Blick»-Gruppe gearbeitet.

Tagesschau, 26.02.2021, 18 Uhr

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