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Schweiz Personenfreizügigkeit: EU-Dokument sieht Meinungsumschwung

Indem die SVP die bilateralen Verträge mit der EU aufs Spiel setzt, ist sie in den Augen der Mehrheit der Schweizer Wähler zu weit gegangen: Zu diesem Schluss kommt eine interne Analyse des EU-Parlaments. Verfasst wurde das Dokument für die heutige Reise von EU-Abgeordneten nach Zürich.

In ihren öffentlichen Verlautbarungen über die Folgen der Masseneinwanderungsinitiative wiederholen EU-Politiker immer wieder die gleichen knappen Aussagen: Die Personenfreizügigkeit sei nicht verhandelbar – und es sei deshalb an der Schweiz, eine Lösung finden, die mit dem bestehenden Freizügigkeitsabkommen in Einklang stehe.

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Doch wie analysieren EU-Experten die Stimmung in der Schweiz und die Politik des Bundesrats? Eine interne Analyse des EU-Parlaments gibt darüber Auskunft. Sie wurde dem SRF zugespielt.

Demnach hat der Volksentscheid vom 9. Februar 2014 eine «Personenfreizügigkeits-Krise» verursacht. Er habe den Bundesrat vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Schweiz aus einer «politischen und juristischen Sackgasse» zu manövrieren.

«Bürde der Umsetzung» dem Parlament und Volk übertragen

Mit seinem Vorschlag habe der Bundesrat die «Bürde der Umsetzung» nun dem Parlament und letztlich wohl auch dem Stimmvolk übertragen. Zumal die EU nach wie vor kaum bereit sei, eine Begrenzung der Zuwanderung zu akzeptieren.

Die EU-Parlamentsverwaltung will dagegen auf Seiten der Schweiz einen Stimmungsumschwung erkennen: «Indem die SVP die bilateralen Verträge mit der EU aufs Spiel gesetzt hat, ist sie in den Augen der Mehrheit der Wähler offensichtlich zu weit gegangen.»

Der EU-Bericht geht davon aus, dass die SVP bei den National- und Ständeratswahlen am 18. Oktober 2015 Wähleranteile verlieren wird. Das zeige auch eine Schweizer Meinungsumfrage mit Blick auf die eidgenössischen Wahlen. Infolgedessen «könnte die Zusammensetzung des Bundesrats nach den Oktober-Wahlen die gleiche bleiben.»

Zum Stimmungsumschwung beigetragen habe der Umstand, dass die «Personenfreizügigkeits-Krise» nach wie vor «Unsicherheit schürt und das Vertrauen der Konsumenten und der Wirtschaft dämpft». Darauf deute das wuchtige Nein zur Ecopop-Initiative am 30. November 2014 hin.

«Ängste der Bevölkerung unbegründet»

Gleichzeitig betont das Dokument, dass es der Schweizer Wirtschaft mit der hohen Zuwanderung der vergangenen Jahre gut ergangen sei. Die meisten Unternehmen florierten, die Arbeitslosigkeit liege auf tiefem Niveau. Laut einer Prognose der Analysefirma IHS werde die Arbeitslosenrate 2017 gar auf 2,5 Prozent sinken. Das zeige, dass die «Ängste der Bevölkerung unbegründet» gewesen seien.

Verfasst hat das Dokument die Verwaltung des EU-Parlaments in Brüssel, und zwar mit Blick auf eine Reise von EU-Parlamentariern heute nach Zürich. Dort treffen sie auf eine Delegation von National- und Ständeräten. Das 30-seitige Schriftstück gibt nicht die Meinung einzelner Abgeordneter oder Parteien wieder, vielmehr handelt es um eine Expertenanalyse der Generaldirektion für Aussenbeziehungen des Europäischen Parlaments.

Bundesrat hat ursprüngliche Strategie aufgegeben

Im internen EU-Dokument wird auch die Strategie des Bundesrats untersucht. 2014 habe der damalige Bundespräsident und Aussenminister Didier Burkhalter eine «positive Agenda» für das Verhältnis zur EU proklamiert. Verschiedene bilaterale Fragen, so der Plan, sollten miteinander verknüpft werden – um dann 2016 mit einer weiteren Volksabstimmung eine Klärung der offenen Fragen herbeizuführen.

«Doch in der jetzigen Lage scheint der Bundesrat diese Strategie nicht mehr zu verfolgen», heisst es in der EU-Analyse. Wahrscheinlich sei der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass eine solche Volksabstimmung «nicht sehr vernünftig» wäre. Was damit genau gemeint ist, wird allerdings nicht ganz klar.

An einzelnen Stellen lässt das Dokument ohnehin Zweifel aufkommen, ob die Parlamentsverwaltung in Brüssel die Verhältnisse in der Schweiz gründlich genug studiert hat. So heisst es etwa, die Masseneinwanderungsinitiative habe eine Einwanderung-Quote von 0,8 Prozent verlangt – was natürlich Unsinn ist, denn der Initiativ- beziehungsweise Verfassungstext zur Zuwanderung enthält keinerlei Zahlen.

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