Allein die Höhe der Parlamentsunterlagen für diese Wintersession beträgt 38 Zentimeter, wie die Messung eines Nationalrates ergeben hat. Das ist viel Papier – geschätzte 2500 Seiten.
Behaupten, dass diese Unterlagen alle gelesen werden, will im Parlament niemand. Es ist schlicht zu viel.
«Müssen uns gegenseitig unterstützen»
«Das erste, das wir im Parlament lernen, ist Arbeitsteilung», sagt Markus Ritter, St. Galler CVP-Nationalrat und neuer Präsident des Bauernverbandes. «Wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Sonst wäre es nicht möglich, eine seriöse Arbeit zu machen.»
Ritter liest nicht alle Geschäfte im Detail, sondern fokussiert auf diejenigen, welche in den Kommissionen besprochen werden, in denen er Einsitz hat. Ist er Wortführer eines Geschäfts, muss er sich besonders hineinknien. In einer dreiwöchigen Session sei dies bei drei bis sechs Geschäften der Fall.
«Man muss sich spezialisieren»
So machen es auch andere Räte. «Man kann nicht über alles im Bild sein», sagt auch Nationalrat Hans Grunder (BDP/BE). «Ich bin immer noch Milizpolitiker und habe ein grosses Unternehmen. Es ist unmöglich. Man muss sich spezialisieren.»
Auch wenn man nicht alle Unterlagen im Detail kenne – abstimmen könne man trotzdem, ist Nationalrat Lukas Reimann (SVP/SG) überzeugt. «Im Zweifelsfall stimmt man mit der Partei. Bei vielen Themen fliesst aber auch die eigene Überzeugung ein.»
Ein riesiges Paket voller Dokumente
«Als ich im Nationalrat begann, habe ich ein riesiges Paket mit Unterlagen zu allen hängigen Geschäften erhalten», erzählt der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer. «Da bin ich schon ziemlich erschrocken».
Beruhigt habe ihn Bundesrätin Simonetta Sommaruga, zu der er kurz nach seiner Wahl zusammen mit anderen SP-Vertretern eingeladen gewesen sei. Auch sie habe zu Beginn eine solches Paket erhalten. Das sei ihr schlimmstes Erlebnis gewesen, habe sie ihm erzählt – doch man müsse längst nicht alles lesen.
Deklarierung von Lobby-Arbeit
«Ich habe alles abbestellt»
Nationalrat Jürg Grossen (GLP/BE) hat einen anderen Ansatz: «Ich habe alles abbestellt. Ich erhalte keine Parlamentsunterlagen in Papierform mehr.» All das Papier, das sei so viel Holz, das brauche es nicht. «Ich sage auch Lobbyisten, wenn Ihr mir Post in Papierform sendet, dann werfe ich es weg.»
Die anderen Parlamentarier erhalten auch von Lobbyisten einen grossen Stoss Post – etwa im Umfang der Parlamentsunterlagen.
Beeinflusst wird auch mit persönlichen Einladungen: Etwa 40 bis 50 flattern vor der Session ins Haus eines jeden Parlamentariers. Lobbying-Events lohnen sich jetzt besonders: Nur während der Session sind so viele Parlamentarier an einem Ort vereint und haben Zeit für ein Mittag- oder Abendessen – sogar Frühstücke morgens um 7 Uhr werden angeboten.
Verantwortlich für die Papierberge sind nicht zuletzt Geschäfte, die das Parlament jahrelang beschäftigen. Bereits seit 8 Jahren diskutiert das Parlament beispielsweise über eine Initiative zur Pferdezucht in der Landwirtschaftszone.