Es war ein Telefonanruf, der am 12. Dezember 1988 ein politisches Erdbeben ausgelöst hatte. Wochen zuvor bat Elisabeth Kopp ihren Mann, den Wirtschaftsanwalt Hans W. Kopp, aus dem Verwaltungsrat der Shakarchi Trading auszutreten. Die Firma stand unter dem Verdacht der Geldwäscherei.
Knapp ein Jahr nach ihrem Rücktritt bescheinigte die PUK Elisabeth Kopp eine weitgehend tadellose Amtsführung. Gerügt wurde sie aber für die Weitergabe von Informationen aus ihrem Departement an ihren Gatten.
Politlogin Silja Häusermann beurteilt die Situation von damals und erklärt, wie sich die Folgen des Rücktritts bis in die Gegenwart fortpflanzen.
SRF News Online: Würde heute die Situation wieder die Gleiche sein: Müsste eine Bundesrätin mit dem gleichen Vergehen auch zurücktreten?
Silja Häusermann: Nicht der Grad des Vergehens spielt bei erzwungenen Rücktritten die wichtigste Rolle. Viel entscheidender ist, wie stark der Rückhalt in der eigenen Partei ist. Beispiel Bruno Zuppiger. Die Entschuldigung reichte nicht. In dem Moment, in dem die Partei jemanden fallen lässt, hat er keine Chance mehr. Bei alt Bundesrätin Kopp war eher auffällig, wie schnell sie von ihrer Partei fallen gelassen wurde. Heute hätte sie sicher einen stärkeren Rückhalt in der Partei gehabt. Sie war damals als erste, sehr sichtbare Frau im Bundesrat unter starker Beobachtung, auch parteiintern. Und dann spielen neben dem Netzwerk auch die Medien eine wichtige Rolle.
Inwiefern?
Medien können einen Skandal stärker oder weniger stark hochspielen und sie können einen Skandal überhaupt erst als solchen definieren. Als Politikerin oder Politiker kann man die Medien nur bedingt steuern. Elisabeth Kopp wurde damals von den Medien als Bundesrätin sicher stärker beobachtet als dies heute der Fall wäre. Einfach darum, weil sie die erste Frau im Bundesrat war. Sie war Symbolfigur, sie musste beweisen, dass eine Frau Bundesrätin sein kann. Sie hat das meiner Meinung nach gut gemacht. Ihre Kompetenz wurde nie bestritten. Sie hatte daher sicher auch Neider und Skeptiker, gerade als Frau.
Hat sie den Politikerinnen mit ihrem Rücktritt nicht einen Bärendienst erwiesen? Sie war die erste Frau im Bundesrat und gerade sie stolperte über ihren schillernden Gatten.
Nein. Ich sehe sie nicht in erster Linie als die Bundesrätin, die zurückgetreten ist. Für mich ist sie sehr viel mehr Wegbereiterin. Sie steht historisch gesehen in einer ganzen Reihe von Politikerinnen, die den Weg ebnen mussten. Da war Lilian Uchtenhagen, die nicht gewählt wurde. Dann kam Kopp, die zurücktreten musste. Christiane Brunner, die aus unsachlichen Gründen nicht gewählt wurde. Schliesslich wurde Ruth Metzler abgewählt. Auffällig häufig wurden unbestritten kompetente Frauen abgesägt. Das fiel mit der Zeit auch der Öffentlichkeit auf.
Heute gibt es zwar mehr Politikerinnen, sie sind aber immer noch in der Minderheit.
Das Verhältnis zu den Frauen in der Politik ist heute viel unproblematischer als noch vor 30 Jahren. Seit den 1980er Jahren hat sich die Anzahl der Frauen in beiden Räten verdoppelt, im Nationalrat auf einen Anteil von 30 Prozent, im Ständerat auf 20 Prozent. Im Bundesrat waren bis vor kurzem vier Frauen, jetzt sind es drei. Wenn wir auf die Ebene der Regierungen in den Kantonen blickenhj, dann haben wir einen Anteil von 23 Prozent. Das ist schon eine starke Zunahme. Aber von 50 Prozent ist es weit entfernt. Und alle Untersuchungen zeigen, dass Frauen immer noch weniger auf die Wahllisten kommen als Männer. Und wenn sie einmal auf den Wahllisten stehen, werden sie weniger häufig gewählt.
Sind Politikerinnen, insbesondere Bundesrätinnen, heute besser vernetzt?
Es gibt heute in den Parteien mehr Frauensektionen, die wiederum aktiver und vernetzter sind als früher, auch überparteilich. Es hat eine eigentliche Institutionalisierung von Politikerinnen in Netzwerken stattgefunden. Laut den Daten des «Business Relationship Rank» der Orell Füssli Wirtschaftsinformationen sind Politikerinnen darüber hinaus auch in der Wirtschaft immer stärker vernetzt.
Mit anderen Worten, es sitzen mehr Politikerinnen in Verwaltungsräten von Firmen oder sind Mitinhaberinnen von Betrieben. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sind sie heute zwar immer noch schlechter vernetzt, aber sie holen auf.
Gibt es da einen Unterschied zwischen bürgerlichen und linken Frauen?
Bürgerliche Frauen sind stärker wirtschaftlich vernetzt als linke Frauen. Hingegen sind die linken Frauen politisch besser verankert, in ihrer eigenen Partei und parteiübergreifend. Das ist insofern auch logisch, weil es in den linken Parteien viel mehr Frauen gibt. Das hängt wiederum damit zusammen, dass die Linken seit Jahrzehnten Frauen systematisch fördern, angefangen an der Basis bis in die Führungsriegen. Sie tun dies teils mit Quoten für Wahllisten oder Gremien, aber auch, indem sie Emanzipationsthemen auf ihrer politischen Agenda haben.
«Frauen greifen Themen auf, die ihnen dringlich erscheinen, ohne zu überlegen, wem sie damit auf die Füsse treten könnten», sagte Elisabeth Kopp einmal. Politisieren Bundesrätinnen tatsächlich anders als ihre männlichen Kollegen?
Die These, dass Frauen weniger strategisch vorgehen, dafür eher Sachpolitik betreiben, kann ich für heutige Politikerinnen nicht unterschreiben. Alle drei Bundesrätinnen, also Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga haben ein gutes Gespür für die Macht, gehen mit Kalkül vor. Sie alle haben verschiedene Stile und Standpunkte und das ist gut so. Es trägt zur Normalisierung bei.
Frauen politisieren also gleich wie Männer?
Viele denken, Politikerinnen seien sensibler für Minderheiten. Das muss ich offen lassen. Es gibt einfach auch mehr Frauen in den linken Parteien. Und die Linken sind grundsätzlich sensibler für Minderheiten. Auch sind Politikerinnen generell nicht mehr auf Familien- oder Sozialthemen abonniert wie das früher der Fall war.
Jetzt kann man behaupten, dass Frauen in linken Parteien sind, gerade weil sie sich von den Themen der Linken angesprochen fühlen und weil sie die linke Art des Politisierens der rechten Art bevorzugen.
Frauen haben früher konservativer gewählt als die Männer. Männer gaben öfter den progressiveren Ideen ihre Stimme. Das hat sich aber in den 1970er- und 1980er-Jahren gewandelt. Heute sind es die Frauen, die gesellschaftlich progressiver und staatsinterventionistischer wählen als die Männer. Das hat mit der veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft zu tun. Weil Frauen heute stärker emanzipiert sind, haben sie andere politische Bedürfnisse, interessieren sich für andere Themen und wählen auch anders. Oder: Je selbstbestimmter Frauen sind, desto mehr pochen sie auch auf Selbstbestimmung und auf Politiker, die diese Selbstbestimmung unterstützen.
Interview: Christa Gall