So richtig überrascht ist eigentlich niemand, wenn der Krankenkassenverband Santésuisse auch für nächstes Jahr Prämienerhöhungen von drei bis vier Prozent ankündigt. Diesmal gibt es aber immerhin eine originelle Begründung:
Ärzte – insbesondere Urologen, Orthopäden und Radiologen – verrechnen immer häufiger «Konsultationen in Abwesenheit des Patienten». Das heisst: Sie studieren immer länger Akten. Und dafür haben sie in den letzten beiden Jahren 140 Millionen Franken mehr aufgeschrieben.
FMH weiss von nichts
Selbst die Ärztegesellschaft reagiert auf diese Zahlen mit Erstaunen: «Wir können die Steigerung auf dieser einen Tarifposition bei diesen drei genannten Disziplinen nicht nachvollziehen und nicht bestätigen», sagt Präsident Jürg Schlup. Und auch bei den Fachgesellschaften weiss man nicht mehr. Die Urologen etwa haben nach eigenen Angaben nicht festgestellt, dass das Aktenstudium länger dauert.
Anders tönt es beim Bundesamt für Gesundheit: «Wir können bestätigen, dass die ambulanten Leistungen gewisser Spezialisten in den letzten Jahren sehr stark gestiegen sind, sowohl in der Praxis wie auch im Spital», sagt BAG-Vizedirektor Oliver Peters.
Mehr Koordinationsarbeit?
Die detaillierten Zahlen der Krankenkassen kommen zwar auch Peters sehr hoch vor, und er will sie so nicht bestätigen. Unbestritten sei hingegen, dass Ärzte die Position «Konsultationen in Abwesenheit des Patienten» in letzter Zeit deutlich häufiger verrechnet hätten.
Zum Teil zu Recht, denn Mediziner müssten sich heute stärker mit Kollegen absprechen als früher, erklärt Peters: Es gebe also einen gewissen Hintergrund, wo eine Zunahme von Koordinationstätigkeiten und auch von Aktenstudium in Abwesenheit bestehe.
Es könnte sein, dass einzelne Spezialisten oder auch andere Ärzte diese Leistungen systematisch aufschreiben.
Mit anderen Worten: Es könnte sein, dass einige Ärzte ein bisschen schummeln beim Abrechnen. Dass so etwas überhaupt möglich ist, liegt an den Fehlanreizen bei den Ärztetarifen. Im Moment verhandeln Krankenkassen, Ärzte und Spitäler über ein neues Tarifsystem, das solche Fehlanreize eliminieren soll.
Bisher konnten sich die Parteien nicht einigen. Geschieht bis 2016 nichts, will der Bund direkt eingreifen. In der Zwischenzeit erwartet BAG-Vizedirektor Peters, dass die Krankenversicherungen den Ärzten genauer auf die Finger schauen. Auf Anfrage sagen die Kassen, das hätten sie ohnehin vor.