Schon beim Eintritt in den Turm, in dem das Tellmuseum seinen Platz hat, wird man mit einer Überraschung empfangen: Dort stehen in einer Reihe zahlreiche Gipsköpfe bekannter Persönlichkeiten – doch Wilhelm Tell gehört nicht dazu.
Zu sehen sind etwa Mahatma Gandhi und Nelson Mandela, aber auch der marxistische Revolutionär Che Guevara und Wikileaks-Gründer Julian Assange. Hinter den Gipsköpfen steht nur: «Wie Wilhelm Tell?»
«War Tell auch ein Mörder?»
Damit wolle man eine Diskussion lancieren, sagt der Präsident der Tellmuseumsgesellschaft Uri, Erich Herger. «Was heisst Heldentum, was heisst Freiheit? War Tell ein Befreier – oder war er auch ein Mörder?» Dabei gehe es dem Museum allerdings keineswegs darum, den Schweizer Nationalmythos zu demontieren, betont Herger.
Denn die Legende um Wilhelm Tell werde ebenso gepflegt – ganz so, wie sie seit dem Weissen Buch von Sarnen um 1470 überliefert worden sei. «Man soll hier auch die Sage und den Mythos um Wilhelm Tell kennenlernen.»
Die moralische Frage des Tell
Die traditionellen Stücke der Sammlung findet man im ersten Stock des Turms. So etwa eine Kopie des Weissen Buchs, in dem Tell erstmals schriftlich erwähnt wurde, oder eine kleine Modellfigur des Telldenkmals von Altdorf. Auch eine über 200-jährige Ausgabe von Friedrich Schillers Theaterstück kann hinter Vitrinenglas betrachtet werden.
Doch auch hier fehlt die kritische Auseinandersetzung nicht: In einem schönen Bildband sind Plakate zusammengefasst, insbesondere auch von politischen Gruppen, die Tell für ihren Zweck zu instrumentalisieren versuchten. «Wir möchten gerne einen Anstoss geben, dass Tell nicht einfach ein Patriot war, sondern sich einer moralischen Frage gestellt hat», erklärt Herger.
«Darf der das? Jemanden töten?»
Das moralische Dilemma wird im obersten Stock des Museums ganz konkret aufgeworfen, verpackt in eine theatralische Geschichte. In einer Tonbildschau spricht zuerst ein Erzähler, der launig die Tellgeschichte vorliest: «Der Tell erschiesst den Gessler mit seinem zweiten Pfeil. Zack! Der Tyrann ist tot – es lebe die Freiheit!»
Doch dann wird der Erzähler von einem Kind beharrlich mit der moralischen Frage konfrontiert: «Darf der das? Jemanden töten?» Die Frage steht unbeantwortet im Raum; eine gültige Antwort liefern weder die Tonbildschau noch das Museum.
Genau dies ist die Stärke des neu renovierten Museums in Bürglen oberhalb von Altdorf: Indem es die Frage ins Zentrum stellt, ob Freiheitskampf den Einsatz von Gewalt legitimieren kann, gelingt es, die Tellensage aus der verstaubt patriotischen Ecke in die Gegenwart zu holen.