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Menschen stehen in einer Strasse, auf einer Mauer steht "Freiheit statt Erdogan".
Legende: Nicht nach Erdogans Gusto: Demonstrationen zur Meinungsfreiheit in Deutschland. Keystone

Schweiz «Wir sollten nicht wie Deutschland vor Erdogan einknicken»

Auf Majestätsbeleidigung zu plädieren und Zensur zu verlangen, gehe nicht, sagt SVP-Nationalrat Roland Büchel zu Erdogans Forderung an Genf. Besonders nicht, wenn sie von einem Mann mit diktatorischen Zügen komme.

Nun hat also auch die Schweiz ein Problem mit dem türkischen Präsidenten Erdogan – oder vielmehr umgekehrt. Die Türkei hat gestern von der Stadt Genf gefordert, ein Foto aus einer Ausstellung zu entfernen, auf dem Erdogan kritisiert wird. Das Bild zeigt ein Transparent, auf dem der damalige Premierminister Erdogan für den Tod eines Jugendlichen bei Protesten in Istanbul verantwortlich gemacht wird.

SRF News: Was raten Sie der Stadt Genf, wie sie auf die Forderung aus der Türkei reagieren soll?

Roland Büchel: Es wäre gut, wenn sie nicht auf diese Provokation von Erdogan reagieren würde.

Roland Rino Büchel

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Legende: keystone

Der Schweizer SVP-Politiker aus Oberriet ist seit 2010 im Nationalrat. Büchel ist Präsident der Aussenpolitischen Kommission. Neben seinem Nationalratsmandat arbeitet er als selbstständiger Sportmanager.

Auf dem umstrittenen Transparent steht: «Ich heisse Berkin Elvan, die Polizei hat mich auf Befehl des türkischen Ministerpräsidenten getötet». Sie finden also, dass Erdogan sich das bieten lassen muss?

Das ist so. Wir haben in unserem Land Meinungsfreiheit. Ich war kürzlich in Strassburg. Da haben Leute während Tagen auf der Strasse «Erdogan assasin» also «Mörder Erdogan» gerufen. Das ist zwar nicht schön, aber die Meinungsfreiheit muss gewährleistet sein.

Wenn man Sie öffentlich als Anstifter für einen Mord beschuldigen würde – wie würden Sie reagieren?

Natürlich kann man klagen, wenn man persönlich angegriffen wird. Aber auf Majestätsbeleidigung zu plädieren und zu sagen, man darf mich nicht angreifen, wie Erdogan das jetzt macht, geht nicht. Deutschland ist schon eingeknickt. Wir sollten das nicht tun.

Könnte es sich jetzt rächen, dass Europa sich in der Flüchtlingsfrage auf einen Handel mit der Türkei eingelassen hat?

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Ja. Man hat ja schon den Eindruck, dass sich Europa, insbesondere Deutschland, unter der Knute von Erdogan befindet und er machen kann, was er will. Das ist ein weiterer Grund, nicht auf seine Forderungen einzusteigen.

Was sind die Folgen, wenn die Stadt Genf hart bleibt und nicht auf die Forderung eingeht?

Dann wird Erdogan ein bisschen wüten. Das muss man aushalten. Die Meinungsfreiheit muss gewährleistet sein. Für Künstler, Satiriker und auch für sonstige Menschen. Voltaire sagte: «Ich bin zwar nicht einverstanden, mit dem was, du sagst, aber ich würde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen.»

Aber Sie befürchten nicht, dass die Beziehung der Schweiz zur Türkei Schaden nehmen könnte?

Wenn man für die Meinungsfreiheit einsteht, muss man mit Schwierigkeiten mit gewissen Staaten rechnen.

Wo konkret könnte die Türkei der Schweiz schaden?

Ich will Erdogan keine Tipps geben. Aber ich glaube nicht, dass er so weit gehen wird, uns zu schaden. Er hat schon in Holland provoziert und seine Leute auf den Konsulaten angewiesen, zu melden, falls es Kritik an ihm gebe. Nun provoziert er uns. Vielleicht bald Österreich. Wir sind ein Land unter vielen und nicht speziell betroffen.

Ich hoffe, dass der Bundesrat mehr Rückgrat gegenüber Erdogan hat als damals gegenüber Gaddafi.

Es gab vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall mit Gaddafi: Der frühere libysche Diktator hatte einen Genfer Politiker angezeigt, von dem er sich beleidigt fühlte. Der Bundesrat hatte dieses Verfahren bewilligt. Die Meinungsäusserungsfreiheit hat also offenbar doch Grenzen?

Es gibt den Majestätsbeleidigungsartikel 296 im Strafgesetzbuch. Ich hoffe, dass der jetzige Bundesrat mehr Rückgrat gegenüber Erdogan hat als der damalige gegenüber Gaddafi.

Was ist im vorliegenden Fall anders?

Damals war es ein Politiker, der provozierte. Jetzt ist es ein armenisch-kurdischer Künstler. Vielleicht hat man aus dem Fall gelernt, dass man nicht auf jede Provokation eines Staatsoberhauptes, der diktatorische Züge hat, einsteigen soll.

Im Fall Libyen spielten auch die Wirtschaftsbeziehungen eine Rolle, weil Libyen Öl an die Schweiz geliefert hatte. Sind die Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei weniger wichtig?

Die sind wichtig. Man geschäftet viel und gut mit der Türkei. Das muss man nicht auf die Seite tun. Trotzdem: Auf solche Provokationen von Staatsoberhäupten, welche die Meinungsfreiheit klein schreiben, muss man nicht eingehen.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

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