SRF News: Bergregionen wachsen bevölkerungstechnisch langsamer als die Metropolregionen. Peripher ländliche Regionen leiden gar unter einem Bevölkerungsschwund. Warum sollten diese Regionen finanziell unterstützt werden?
Thomas Egger: Zuerst die positive Botschaft: Die Bevölkerung nimmt auch in den Berggebieten kontinuierlich zu, um rund ein Prozent pro Jahr. Die Bevölkerungsentwicklung innerhalb der Berggebiete verläuft aber sehr unterschiedlich. Ein starkes Wachstum verzeichnen vor allem Regionen im Einzugsbereich der grossen urbanen Zentren.
Demgegenüber kämpfen schwer erreichbare und wirtschaftlich monostrukturierte Regionen mit Überalterung und Abwanderung. Die Bevölkerung konzentriert sich zudem innerhalb der Bergregionen zunehmend auf die regionalen Zentren wie Interlaken, Spiez oder Brig.
Die Bergregionen prägen letztlich das Bild der Schweiz. Sie sind identitätsstiftend. Wer vom Ausland her die Schweiz betrachtet, denkt in erster Linie an ein Alpenland. Die Berggebiete sind denn auch essentiell, beispielsweise für den Tourismus.
Die Berggebiete erbringen prägende Leistungen für die Schweiz als Ganzes.
Was braucht es denn, um Tourismus und Bergregionen zu stärken?
Der Tourismus braucht Infrastrukturen wie Zufahrtstrassen, Seilbahnen, Hotels und Restaurants. Diese müssen betrieben und finanziert werden. Die für die Schweiz so typische Kulturlandschaft muss gepflegt werden damit auch einheimische Produkte auf den Teller kommen. Kurzum, die Berggebiete erbringen prägende Leistungen für die Schweiz als Ganzes.
Zudem darf nicht vergessen werden: Wir steuern auf eine Schweiz der 10 Millionen Einwohner zu. Diese Einwohner benötigen Platz. Alle in den Zentren zu konzentrieren würde weitere Kosten der Enge (zum Beispiel Staukosten, hohe Infrastrukturkosten usw.) verursachen. Der Raum ist somit eine Ressource, die es zu nutzen gilt.
Wo aber soll das Geld dafür herkommen?
Die Zukunft der Berggebiete hängt wesentlich von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wir benötigen in erster Linie attraktive Arbeitsplätze. Die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen steuert die Bevölkerungsentwicklung. Unsere wichtigsten Branchen, die Industrie, der Tourismus und die Landwirtschaft machen derzeit tief greifende Reformprozesse durch.
Bevölkerungswachstum
Der Tourismus kämpft beispielsweise mit enormen Herausforderungen und muss neu positioniert werden. Angesichts des Klimawandels und der geänderten Kundenbedürfnisse müssen wir wegkommen von der einseitigen Ausrichtung auf den Wintertourismus. Es gilt, neue Potenziale wie zum Beispiel im Kulturtourismus und Gesundheitstourismus aufzugreifen.
Die Bevölkerung wird immer älter und gesundheitsbewusster. Hier haben wir dank einer guten medizinischen Versorgung einiges zu bieten. Das Unterengadin zum Beispiel macht das und positioniert sich als Gesundheitsregion. Das ist ein guter Ansatz um die Potenziale, welche sich durch ein gesteigertes Gesundheitsbedürfnis der Bevölkerung ergeben, auch als Faktor der Regionalentwicklung zu nutzen.
In den 1920er Jahren war das Ziel, jedes Dorf ans Strassennetz anzubinden. Heute muss die digitale Erreichbarkeit gewährleistet sein.
Auch die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. Auch hier ist das Unterengadin durch die Initiative «Mia Engiadina» ein Vorreiter – mit der Schaffung interessanter Arbeismöglichkeiten. Das setzt voraus, dass die Erreichbarkeit der Bergregionen gewährleistet sein muss. In den 1920er Jahren war das Ziel, jedes Dorf ans Strassennetz anzubinden. Heute muss die digitale Erreichbarkeit gewährleistet sein. Der Gast will ebenso wie wir Einheimische auch in den Ferien immer und überall vernetzt sein.
Den Berggebieten immer vorzuwerfen, wir seien Subventionsempfänger, ist definitiv falsch.
Das kostet aber Geld. Erhalten Ihrer Meinung nach die Bergregionen genügend finanzielle Unterstützung aus Bern?
Ich vermisse eine klare politische Willensäusserung unseres Bundesrates, die Berggebiete zu unterstützen. Schaut man sich die Transferleistungen des Bundes an die Kantone an (Jahresbericht der Eidg. Finanzverwaltung 2013, Anm. d. Red.) , so fliessen rund drei Viertel der jährlich rund 20 Milliarden Franken an die Mittellandkantone, allen voran Bern und Zürich.
Den Berggebieten immer vorzuwerfen, wir seien Subventionsempfänger, ist definitiv falsch. Wir wären aber auch schon froh, wenn wir die Flut der Auflagen und Einschränkungen reduzieren könnten. Man sagt den Landwirten beispielsweise, sie sollen unternehmerisch tätig sein. Doch wenn sie dies sein wollen, dann werden sie gleich wieder durch die Bestimmungen der Raumplanungs- und Umweltgesetzgebung in die Schranken gewiesen. Das geht so nicht auf. Die Politik ist in dieser Hinsicht inkohärent.
Gibt es Verbesserungspotenzial bei der Kooperation vor Ort?
Die regionale Zusammenarbeit ist entscheidend. Im Oberwallis haben beispielsweise 72 Gemeinden zusammengespannt, um ein Glasfasernetz auszubauen. Eine einzelne Gemeinde hätte dies nie erreichen können. Dieses Projekt ist ein Vorbild für die Solidarität innerhalb der Regionen. Für die bessere Zusammenarbeit unter den Gemeinden braucht es nicht zwingend Fusionen, wichtig ist ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen.
Wenn man den Bogen geographisch noch weiter spannt – müssen die Gemeinden auch mal den Blick über die Grenze wagen?
In der internationalen Zusammenarbeit liegt tatsächlich eine Chance für die Bergregionen. Ein Beispiel für ein gelungenes Projekt ist der grenzüberschreitende Regionalverkehr zwischen Chiasso und Mailand (Regionalzüge «TILO» – TIcino LOmbardia, Anm. d. Red.) . Auch im Jurabogen wäre es wichtig, den öffentlichen Verkehr zur Bewältigung der grenzüberschreitenden Pendlerströme zu stärken.
Bauland Schweiz
Auf einer grösseren Massstabsebene wurde letztes Jahr die neue makroregionale Strategie für die Alpen lanciert. Alle Alpenstaaten und –regionen intensivieren hier ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Erreichbarkeit und Ressourcen.
Seit über 20 Jahren arbeiten zudem rund 270 Gemeinden im ganzen Alpenraum im Gemeindenetzwerk «Allianz in den Alpen» zusammen, darunter rund 50 Gemeinden aus der Schweiz – und profitieren so vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch.
Das Gespräch führte Oliver Roscher