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Schweizer Bevölkerung «Städte und Agglomerationen sind Wachstumsmotoren»

Das Bevölkerungswachstum vertieft den Stadt-Land-Graben. Viele zieht es in die Städte. Patrik Schellenbauer vom Think-Tank Avenir Suisse betont die wirtschaftliche Wichtigkeit der Metropolregionen und stellt die Höhe der Transferleistungen in die Berge infrage.

SRF News: Vermehrt zieht es die Menschen in die Stadt. Ländliche Regionen wachsen nur unterdurchschnittlich – manche schrumpfen gar. Wo sehen Sie die Gründe?

Porträt Patrik Schellenbauer.
Legende: Patrik Schellenbauer ist stellvertretender Direktor und Chefökonom beim Think-Tank Avenir Suisse. zvg

Patrik Schellenbauer: Das Berggebiet hängt stark vom Tourismus ab. Hier überlagern sich heute mehrere Entwicklungen, die das Geschäft unter Druck setzen: der Klimawandel und Schneemangel, das rückläufige Interesse am Schneesport, der starke Franken und der Rückgang von Buchungen aus dem asiatischen Raum.

Mittelgrosse Tourismusregionen haben viel in die Transportinfrastruktur investiert und investieren noch immer, viele von ihnen stehen finanziell unter massivem Druck.

Haben sich die Regionen verkalkuliert? Fehlt es an neuen Ideen?

Vielen Orten fehlt das Alleinstellungsmerkmal und man sieht jetzt, wie riskant die Investionen waren. Mehr kreative Ideen jenseits des klassischen Wintertourismus wären sicher hilfreich.

Einige Bergregionen haben gezeigt, wie es auch anders laufen kann. So hat Vorarlberg in Österreich seine traditionelle Holzwirtschaft erfolgreich mit moderner Architektur und Design verbunden. Südtirol punktet mit innovativen landwirtschafltichen Produkten.

Mehr kreative Ideen jenseits des klassischen Wintertourismus wären sicher hilfreich.

Sanfter Tourismus wäre hierzulande eine Alternative für einige Bergregionen, aber erst kürzlich wurde ein solches Projekt, der Nationalpark «Parc Adula» abgelehnt.

Muss der Staat die Berggebiete also stärken unterstützen?

Bevölkerungswachstum

Die Transferleistungen der öffentlichen Hand können die Umsetzung neuer Ideen auch behindern. Wenn es schlecht läuft, wird allzu schnell nach dem Staat gerufen. Dies ist oft einfacher als selber die Initiative zu ergreifen. So fliesst viel Geld in Projekte, die keine nachhaltige Wertschöpfung bringen. So lässt sich die Abwanderung auf Dauer nicht aufhalten.

In einzelnen Gebieten sollte über einen kontrollierten Schrumpfungsprozess diskutiert werden.

Wollen Sie demnach manche Orte «aussterben» lassen, «alpine Brachen» erzeugen?

Der Begriff «alpine Brache» ist fehlgeleitet. Avenir Suisse will das Berggebiet sicher nicht sterben lassen, zumal wir in der Schweiz von Problemen auf hohem Niveau sprechen. Aber in einzelnen Gebieten sollte über einen kontrollierten Schrumpfungsprozess diskutiert werden. Denkverbote und Tabus helfen dem Berggebiet nicht.

Kritik an Transferleistungen

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Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete ( SAB ), kritisiert die Transferleistungen des Bundes. Städtische Kantone seien dabei massiv zu Ungunsten von Bergregionen bevorteilt. Das Gespräch mit ihm können Sie hier nachlesen.

Aber die Bergregionen monieren stets eine Benachteiligung seitens Bundesbern?

Klar haben periphere Bergregionen in der heutigen Wirtschaft quasi einen natürlichen Nachteil. Dabei wird aber oft vergessen, dass der Bund und die anderen Kantone den Gebirgskantonen massiv unter die Arme greifen. Allein über den Finanzausgleich fliessen jährlich 2,2 Mrd. Franken in die Bergregionen, dazu kommen weitere regionale Umverteilungen über die Sozialversicherungen und Verbundaufgaben. Aus unserer Sicht hat man die Transfers in die Berge teilweise übertrieben.

Die Schweiz ist zwar ein föderales Land, aber die Städte und ihre Agglomerationen sind die Wachstumsmotoren.

Was ist mit den Transferleistungen zugunsten der Städte?

Bei den öffentlichen Transferzahlungen wird definitiv nicht zugunsten der Städte umverteilt. Die Schweiz ist zwar ein föderales Land, aber die Städte und ihre Agglomerationen sind die Wachstumsmotoren. Nur weiteres Wachstum kann letztlich sicherstellen, dass die regionalen Disparitäten kleiner bleiben als in anderen europäischen Ländern, denn am Ende profitiert auch die Peripherie von starken innovativen Zentren.

Bei der Stärkung der Städte denken viele an Zersiedelung und ausufernde Agglomerationen.

Die Raumplanung konnte den Bodenverschleiss und die Zersiedelung bestenfalls bremsen, aber nicht verhindern. Dies ist so, weil zwei starke Gegenkräfte wirken. Erstens gibt es in der Schweiz eine tief verwurzelte Abneigung gegen Verdichtung, sogar in den Grossstädten. Alle sprechen von Verdichtung, aber bitte nicht bei mir!

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Zum zweiten ist den meisten nicht bewusst, dass wir den Verkehr massiv subventionieren. Die Kostendeckung beim öffentlichen Verkehr liegt unter 50%. Das führt zu übermässiger Mobilität und fördert das Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohnort. Auch das untergräbt die Ziele der Raumplanung.

Ganz grundsätzlich: Stellen Sie den Föderalismus in der aktuellen Form infrage?

Im Gegenteil, wir wenden uns gegen die schleichende Aushöhlung des Förderalismus, den wir als zentralen Erfolgsfaktor der Schweiz erachten. Wir unterstützen besonders das Prinzip der Subsidiarität, wonach die Probleme da angepackt werden, wo sie entstehen. Der föderale Steuerwettbewerb ist zudem Garant dafür, dass die Steuerbelastung massvoll bleibt.

Leider wird Föderalismus oft falsch verstanden und mündet in ein föderales Wunschkonzert, zum Beispiel in der Bildung und in der Verkehrsinfrastruktur. Und was man oft vergisst: der Föderalismus ist meiner Meinung nach eine wirksame Medizin gegen Populismus, weil der Vorwurf «an die da oben» nicht greift. Denn viele Kompetenzen liegen bei den Kantonen und Gemeinden.

Das Gespräch führte Oliver Roscher

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