Das Wichtigste in Kürze
- Alt Bundesrat Pascal Couchepin kann die harte Verhandlungstaktik der Europäischen Union gegenüber der Schweiz nachvollziehen.
- Zudem kritisiert der 75-jährige das Verhandlungsergebnis des ehemaligen Bundesrates und Aussenministers Didier Burkhalter.
- Ausserdem gibt Couchepin zu bedenken, dass die Schweiz ihren Wohlstand der Personenfreizügigkeit verdanke.
Pascal Couchepin befindet sich schon seit Jahren im politischen Ruhestand – dennoch ist der 75-jährige der Alte geblieben: Er sagt nicht alles, was er denkt. Doch was er sagt, ist pointiert. «In der Schweiz wird mit dieser Geschichte übertrieben.»
Der Alt Bundesrat meint damit die Vorkommnisse vor Weihnachten. Damals rechnete die Schweiz damit, die EU würde das Schweizer Börsenrecht unbefristet als gleichwertig anerkennen – doch Brüssel spielte nicht mit.
Sie haben uns nicht das gegeben, was wir wollten. Das ist ihr gutes Recht. Die Schweiz verteilt ihrem Partner auch nicht gratis Vorteile.
Die Europäische Union erteilte die Anerkennung lediglich für ein Jahr und machte eine Verlängerung von Fortschritten bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der Schweiz abhängig. «Sie haben uns nicht das gegeben, was wir wollten. Das ist ihr gutes Recht. Die Schweiz verteilt ihrem Partner auch nicht gratis Vorteile», sagt Couchepin im Gespräch mit Radio SRF.
Couchepin sieht aber auch den Bundesrat in der Verantwortung. Dieser habe das Rahmenabkommen nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit vorangetrieben. Dieses Abkommen, das festlegen soll, wie die Schweiz Gesetze anpassen muss, wenn die EU sie ändert – und insbesondere, wer bei Streitfragen entscheidet.
So habe der Bundesrat aus seiner Sicht nicht «viel Begeisterung» bei den Verhandlungen mit der EU an den Tag gelegt. «Deshalb liegt das Verhandlungsresultat nahe bei Null», so der 75-Jährige. Die Kritik an seinen FDP-Parteikollegen und Nachfolger Didier Burkhalter findet erstaunlich offen statt – auch am Jubiläumsanlass der schweizerisch-belgischen Handelskammer in Brüssel.
Wohlstand dank offener Grenzen
Als Pascal Couchepin 1998 in den Bundesrat gewählt wurde, waren die Verhandlungen über die ersten Bilateralen Abkommen gerade in der Schlussphase. Der heikle Punkt war dabei die Personenfreizügigkeit.
Die EU wollte diese unbedingt und konnte auch die Guillotine-Klausel durchsetzen. Damit wurden alle Abkommen der Bilateralen 1 aneinander gekoppelt. Es gab nur «Alles oder Nichts». Der Bundesrat willigte ein und gewann die Volksabstimmung.
Die Bevölkerung ist es sich gewohnt, dass es in der Schweiz gut läuft – und, dass der Wohlstand vom Himmel fällt.
Doch das Volk ist skeptischer geworden. «Die Bevölkerung ist es sich gewohnt, dass es in der Schweiz gut läuft – und, dass der Wohlstand vom Himmel fällt» sagt Pascal Couchepin zur Schweizer Zurückhaltung. Das Land dürfe jedoch nicht vergessen, dass die Schweiz den Wohlstand dem Wettbewerb und den offenen Grenzen – also der Personenfreizügigkeit – zu verdanken habe.
Für Pascal Couchepin ist klar: Die Schweiz muss für den Zugang zum Binnenmarkt ein Rahmenabkommen abschliessen und dafür auch gewisse Regeln der EU akzeptieren.
So sieht er in den europäischen Richtern kein Problem, schliesslich fordere er als Walliser auch nicht, dass nur Walliser Bundesrichter am Bundesgericht in Lausanne arbeiteten. Vielmehr sei er froh, dass auch andere dort seien - scherzt er. Couchepin findet es selbst unproblematisch, wenn die Schweiz EU-Recht übernehmen müsse.
Dass der neue Aussenminister Ignazio Cassis die Kommunikation des Bundesrates verbessern will, sei ein positiver Anfang, lobt Couchepin ausserdem. Aber auch so werde es schwierig, die Schweizer von einem Rahmenabkommen zu überzeugen – denn die SVP werde mit allen Mitteln dagegen kämpfen. «Sie werden sagen: Solange die EU vor der Schweiz nicht kapituliert, ist das Verhandlungsergebnis ungenügend. Selbstverständlich ist es nicht rational zu wollen, dass die EU alles akzeptiert, was die Schweiz vorschlägt», sagt Couchepin.
Viele Politiker in der Schweiz bezeichnen den Bilateralen Weg als Königsweg. Doch der lasse sich nur retten, wenn er auf ein neues Fundament gestellt werde, sagt Couchepin. Und er bedauert, dass gleichzeitig auch jede weitere Diskussion abgeklemmt werde –denn er würde noch weiter gehen. Bereits als Bundesrat kam ein EU-Beitritt für ihn in Frage. Auch heute noch.
Vielleicht wird es nötig sein, Mitglied dieser grösseren Organisation zu werden.
Wer wisse denn schon, wie sich die Welt entwickle, sagt Couchepin und verweist auf Donald Trump. Dieser missbrauche seine Macht als US-Präsident – da könne ein EU-Beitritt vielleicht plötzlich von Vorteil sein, um die eigenen Interessen wahrzunehmen. «Vielleicht wird es nötig sein, Mitglied dieser grösseren Organisation zu werden. Doch das wird nicht morgen der Fall sein. Ich werde das zwar nicht vor der Öffentlichkeit verteidigen, aber es ist rational. Politik besteht nicht darin, Türen zu schliessen, sondern Türen offenzulassen», sagt Couchepin.