Die Rütliwiese oberhalb des Urnersees gehört dem Bund, also allen Schweizerinnen und Schweizern. Das macht sie zum Mittelpunkt emotionaler Diskussionen darüber, was dort beispielsweise am 1. August geschehen soll – und wer eine Rede halten darf. Nach Kritik an linkslastigen Anlässen und zu vielen Ansprachen von linken Bundesräten ist im aktuellen Festprogramm bisher kein bundesrätlicher Besuch aufgeführt.
Neuer SGG-Präsident will Wogen glätten
Tatsächlich denke man darüber nach, die Bundesratsreden abzuschaffen, sagt Anders Stokholm: «Es kann sein, dass es eine Veränderung gibt und man nicht mehr per se eine Bundesrätin oder einen Bundesrat aufs Rütli einlädt.» Stokholm präsidiert neu die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), die traditionell die 1.-August-Anlässe auf dem Rütli organisiert.
Zu anderen Veränderungen äussert sich Stokholm nur vage. Die Turbulenzen der letzten Jahre möchte er aufarbeiten: «Ich will erst analysieren und dann urteilen. Aufgrund dieses Urteils will ich dann handeln.»
Was friedlich und höflich ist, wird oft als friedhöflich hingestellt. Das ist nicht meine Art.
Einander zuhören und verstehen, das habe im Streit um die Ausrichtung der SGG gefehlt. Konkreter wird er nicht, aber nur gemütlich soll es auch nicht werden: «Was friedlich und höflich ist, wird oft als friedhöflich hingestellt. Das ist nicht meine Art. Ich möchte gestalten – und das im Team.» Noch ist Stokholm vorsichtig in seiner Wortwahl.
Ursprünglich Pfarrer, ist er heute im Hauptberuf Politiker, Stadtpräsident von Frauenfeld und FDP-Mitglied. Stokholm ist in Dänemark und in Italien, auf Grönland und in der Schweiz aufgewachsen. Bei der SGG hat er sich beworben, weil diese viel mehr sei als das Rütli.
Seit 1810 setzt sie sich für den sozialen Zusammenhalt ein und fördert die Freiwilligenarbeit in der Schweiz. Diese gemeinnützige Arbeit will Stokholm nun weiterentwickeln: «Heute bedeutet Gemeinnützigkeit nicht, einfach zu spenden und Almosen zu geben. Das war es vielleicht vor 214 Jahren. Heute ist Gemeinnützigkeit aber viel mehr.»
Als Beispiel nennt Stokholm Projekte für den Zusammenhalt der Generationen. Ob das bei eher traditionell denkenden Mitgliedern gut ankommt, ist offen. Den Druck auf die SGG halten sie jedoch aufrecht. Der Nationalrat will der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft die Verwaltung des Rütli wegnehmen und dem Bund übertragen.
«Führen statt palavern»
Auch Jürg Kallay fände das gut. «Wenn die SGG nicht bereit ist, alle unabhängig von ihrem politischen Hintergrund aufzunehmen, finde ich das richtig.» Kallay ist das Gesicht jener Kritiker, die eine linkslastige Ausrichtung der SGG moniert haben.
Kallay will die Werte der SGG erhalten. Sie solle mit möglichst vielen Mitgliedern aus allen politischen Richtungen möglichst reale Probleme angehen – und etwa Lösungen für die Bekämpfung der hohen Krankassenprämien finden. Vom neuen Präsidenten erwartet er vor allem, «dass er führt. Das heisst Entscheidungen treffen und nicht ewig palavern.»
Auch für Kritiker wie Kallay will der neue Präsident ein offenes Ohr haben. Stokholm gibt sich bescheiden und zurückhaltend, vielleicht schafft er es damit, wieder Ruhe in die SGG zu bringen. Und wenn er einmal genug von weltlichem Gezänk haben sollte, geht er vielleicht zurück zur Kirche: «Als ich aufgehört habe als Pfarrer, habe ich gesagt, dass ich mir eine Rückkehr durchaus vorstellen kann.»