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Schweizer Nationalfeiertag Werden die Bundesratsreden auf dem Rütli abgeschafft?

Um die 1.-August-Feiern auf dem Rütli ist in den letzten Jahren ein Streit entbrannt. Jetzt soll es wieder ruhiger werden um die sagenumwobene Wiese.

Die Rütliwiese oberhalb des Urnersees gehört dem Bund, also allen Schweizerinnen und Schweizern. Das macht sie zum Mittelpunkt emotionaler Diskussionen darüber, was dort beispielsweise am 1. August geschehen soll – und wer eine Rede halten darf. Nach Kritik an linkslastigen Anlässen und zu vielen Ansprachen von linken Bundesräten ist im aktuellen Festprogramm bisher kein bundesrätlicher Besuch aufgeführt.

Neuer SGG-Präsident will Wogen glätten

Tatsächlich denke man darüber nach, die Bundesratsreden abzuschaffen, sagt Anders Stokholm: «Es kann sein, dass es eine Veränderung gibt und man nicht mehr per se eine Bundesrätin oder einen Bundesrat aufs Rütli einlädt.» Stokholm präsidiert neu die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), die traditionell die 1.-August-Anlässe auf dem Rütli organisiert.

Elisabeth Baume-Schneider bei ihrer letztjährigen Rede auf dem Rütli.
Legende: Jahrelang wurde um die Ausrichtung der SGG gestritten. Auch die Frage, wer an der Bundesfeier auf dem Rütli sprechen darf, erhitzte die Gemüter. Bild: SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bei ihrer letztjährigen Rede auf dem Rütli. Keystone/Urs Flüeler

Zu anderen Veränderungen äussert sich Stokholm nur vage. Die Turbulenzen der letzten Jahre möchte er aufarbeiten: «Ich will erst analysieren und dann urteilen. Aufgrund dieses Urteils will ich dann handeln.»

Was friedlich und höflich ist, wird oft als friedhöflich hingestellt. Das ist nicht meine Art.
Autor: Anders Stokholm Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft

Einander zuhören und verstehen, das habe im Streit um die Ausrichtung der SGG gefehlt. Konkreter wird er nicht, aber nur gemütlich soll es auch nicht werden: «Was friedlich und höflich ist, wird oft als friedhöflich hingestellt. Das ist nicht meine Art. Ich möchte gestalten – und das im Team.» Noch ist Stokholm vorsichtig in seiner Wortwahl.

Ursprünglich Pfarrer, ist er heute im Hauptberuf Politiker, Stadtpräsident von Frauenfeld und FDP-Mitglied. Stokholm ist in Dänemark und in Italien, auf Grönland und in der Schweiz aufgewachsen. Bei der SGG hat er sich beworben, weil diese viel mehr sei als das Rütli.

Seit 1810 setzt sie sich für den sozialen Zusammenhalt ein und fördert die Freiwilligenarbeit in der Schweiz. Diese gemeinnützige Arbeit will Stokholm nun weiterentwickeln: «Heute bedeutet Gemeinnützigkeit nicht, einfach zu spenden und Almosen zu geben. Das war es vielleicht vor 214 Jahren. Heute ist Gemeinnützigkeit aber viel mehr.»

Stokholm mit der damaligen Justizministerin Simonetta Sommaruga, 2016 in Bern.
Legende: Der Stadtpräsident von Frauenfeld ist seit vielen Jahren politisch aktiv. Bild: Anders Stokholm mit der langjährigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga in Bern (Archivaufnahme von 2016). Keystone/Peter Klaunzer

Als Beispiel nennt Stokholm Projekte für den Zusammenhalt der Generationen. Ob das bei eher traditionell denkenden Mitgliedern gut ankommt, ist offen. Den Druck auf die SGG halten sie jedoch aufrecht. Der Nationalrat will der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft die Verwaltung des Rütli wegnehmen und dem Bund übertragen.

«Führen statt palavern»

Auch Jürg Kallay fände das gut. «Wenn die SGG nicht bereit ist, alle unabhängig von ihrem politischen Hintergrund aufzunehmen, finde ich das richtig.» Kallay ist das Gesicht jener Kritiker, die eine linkslastige Ausrichtung der SGG moniert haben.

Nationalrat stimmt SVP-Motion zu

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Der Nationalrat hat in der Sondersession von Mitte April mit 98 zu 84 Stimmen eine Motion der SVP angenommen, die verlangt, dass die Verwaltung der Rütliwiese hoch über dem Vierwaldstättersee an die Eidgenossenschaft übergeht. Die Motion fordert konkret, dass die öffentlich-rechtliche Vereinbarung zwischen der Eidgenossenschaft und der SGG über die Zusammenarbeit betreffend das Rütli so rasch wie möglich gekündigt wird.

Der Bundesrat hat sich gegen den Vorstoss ausgesprochen. Er erinnerte in seiner Stellungnahme an die Schenkungsurkunde von 1860. Demnach wurde das Rütli als unveräusserliches Nationalgut dem Bund übergeben, mit dem Vorbehalt, dass die Verwaltung der SGG übertragen wird. Die in der Motion verlangte Auflösung der Vereinbarung zwischen Bund und SGG bedeute deshalb nicht den Entzug der weiteren Betreuung und Verwaltung des Rütlis durch die SGG. Die Motion geht nun in den Ständerat.

Kallay will die Werte der SGG erhalten. Sie solle mit möglichst vielen Mitgliedern aus allen politischen Richtungen möglichst reale Probleme angehen – und etwa Lösungen für die Bekämpfung der hohen Krankassenprämien finden. Vom neuen Präsidenten erwartet er vor allem, «dass er führt. Das heisst Entscheidungen treffen und nicht ewig palavern.»

Rega-Helikopter vor Bergkulisse
Legende: Kallay möchte aus der SGG eine nationale Ikone wie die Rega machen. Eine gesamtschweizerische Institution, die für jeden da sei, der sie benötige: «Bei der Rega weiss jeder Mann und jede Frau in der Schweiz, dass sie eine verlässliche Partnerin ist. So könnte auch die SGG aufgestellt sein.» Keystone/Alexandra Wey

Auch für Kritiker wie Kallay will der neue Präsident ein offenes Ohr haben. Stokholm gibt sich bescheiden und zurückhaltend, vielleicht schafft er es damit, wieder Ruhe in die SGG zu bringen. Und wenn er einmal genug von weltlichem Gezänk haben sollte, geht er vielleicht zurück zur Kirche: «Als ich aufgehört habe als Pfarrer, habe ich gesagt, dass ich mir eine Rückkehr durchaus vorstellen kann.»

Rendez-vous, 30.07.2024, 12:30 Uhr;kobt

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