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«Achtung Sekte»: Scientology unter Beobachtung
Aus Rundschau vom 21.10.2020.
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Scientology Wenn Sekten-Eltern ihre Kinder verstossen

Andrea Buschor hat einen Abschiedsbrief von ihren Eltern und der Schwester bekommen. Auslöser war, dass sie sich von Scientology abgewandt hat. Die Sekte riss eine Familie auseinander.

Es fällt Andrea Buschor schwer, darüber zu reden. Der Trennungsschmerz ist heute noch da. Auf einmal kamen diese Briefe. Zuerst von der Mutter, handschriftlich, unterzeichnet mit «in Liebe, Mami». Mit einer umständlichen Formulierung, in der es heisst, Andrea umgebe sich mit «unterdrückerischen Personen». Gemeint sind Leute, die gegen Scientology sind. Von diesen wolle sich die Tochter nicht trennen, schreibt die Mutter. «Deshalb habe ich mich entschieden, die Verbindung mit dir abzubrechen.»

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Scientology-Aussteigerin Andrea Buschor liest den Brief ihrer Mutter vor.
Aus Rundschau vom 21.10.2020.
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Am gleichen Tag ein Brief vom Vater, getippt am Computer. Er kommt gleich zur Sache. Im ersten Satz heisst es: «Ich breche die Verbindung mit Dir ab.» Fünf Wochen später schliesslich die Schwester. Ein Brief, fast mit dem gleichen Wortlaut. Es sieht so aus, als habe jemand die Formulierungen diktiert.

«Wie Napoleon oder Hitler»

Was aber ist eine «unterdrückerische Person»? «Sie ist auch unter der Bezeichnung antisoziale Persönlichkeit bekannt», schreibt Scientology auf ihrer Internetseite. «In dieser Kategorie findet man Napoleon, Hitler, den reulosen Mörder und den Drogenboss.» Die «unterdrückerische Person» trachte danach, Gruppen zu verunglimpfen und schlechte Nachrichten über sie zu verbreiten.

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Jürg Stettler, Sprecher von Scientology Schweiz, spricht über die Trennung von Mitgliedern.
Aus News-Clip vom 26.10.2020.
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In einem auf gelbes Papier gedruckten Dokument hatte die Scientology-Kirche Basel Andrea Buschor zur «Schwierigkeitsquelle Typ I» erklärt. In einer umständlichen Formulierung heisst es, durch den Umgang mit einer «unterdrückerischen Person» begehe Andrea Buschor selbst eine «unterdrückerische Handlung». Übersetzt heisst das, die junge Frau habe Kontakt zu Scientology-Feinden und werde nun selbst zur Gegnerin der Sekte.

Gelbes Dokument, das Andrea Buschor zur «Schwierigkeitsquelle Typ I» erklärt.
Legende: In diesem Dokument wurde Andrea Buschor von der Scientology-Kirche Basel zur «Schwierigkeitsquelle Typ I» erklärt. Sie habe Kontakt zu Scientology-Feinden und wurde so selbst zur Gegnerin der Sekte erklärt. SRF

Nach diesem Aufruf zur Ächtung kamen die Abschiedsbriefe. Die Schwester arbeitet bei Scientology in Basel. Andrea Buschor hat sie vom Auto aus in der Stadt gesehen. «Es tut weh, nicht das Fenster zu öffnen und zu fragen, willst du mitfahren?», erzählt sie.

«Wir hatten einfach genug»

Die Eltern von Andrea Buschor sagen gegenüber der «Rundschau», sie seien nicht von Scientology gezwungen worden, die Verbindung zu ihrer Tochter abzubrechen. Die Eltern schreiben: «Es gab ein erhitztes Familientreffen, bei dem Andrea heimlich das Gespräch aufnahm. Wir mussten davon ausgehen, dass sie es ins Netz stellen könnte. Wir hatten einfach genug. Dazu kam, dass Andrea aktiv mit Personen zusammenarbeiten wollte, deren Ziel es war, unsere Religion massiv zu schädigen.»

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Die Scientology-Aussteigerin Andrea Buschor spricht über die Trennung von ihrer Schwester.
Aus News-Clip vom 26.10.2020.
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Andrea Buschor hat die Trennung bis heute schlecht verkraftet. Sie ist psychisch krank, geht in Therapie, lebt von der IV. Aber es gehe bergauf, sagt sie. «Ich habe nicht mehr so viel Angst vor Scientology. Ich bin mehr ich selbst.»

Scientology Basel residiert in einem riesigen Neubau, 2015 eingeweiht, viertausend Quadratmeter gross. Rund hundert Leute seien hier beschäftigt, sagt Scientology-Sprecher Jürg Stettler. Die meisten für einen Lohn in dreistelliger Höhe, ohne Arbeitsvertrag. «Das ist normal bei Vereinen», rechtfertigt sich Stettler. «Da ist viel Idealismus dabei.»

Scientology-Sprecher Jürg Stettler vor einer Kasse
Legende: Scientology-Sprecher Jürg Stettler sagt, er habe bereits 100'000 Franken an Scientology gezahlt. SRF

Durch Kurse und Trainings sollen die Scientologen bessere Menschen werden. Das kostet Geld, viel Geld. Je höher die Scientologen in der Hierarchie aufsteigen, desto teurer wird es. Jürg Stettler sagt, er selbst habe bisher in 45 Jahren rund 100'000 Franken an Scientology abgegeben. Dabei hat Stettler in der «spirituellen Entwicklung» erst Stufe 17 von 20 erreicht.

Reinigungsprogramm und Strassenstände

Stettler führt den «Rundschau»-Reporter durch das riesige Gebäude, die Scientologen nennen es «Kirche». Am Empfang eine Dame, die Fieber misst und die genauen Kontaktdaten verlangt. Im Parterre hinter hohen Glasscheiben befindet sich ein Informationszentrum. Auf Schautafeln und Bildschirmen erklären die Scientologen ihre Welt. Zum Beispiel das Reinigungsprogramm, das den Körper stärken soll – mithilfe von Saunagängen und Vitaminen. Oder das E-Meter, das angeblich geistige Widerstände im Körper misst – mit zwei Blechdosen, die man in die Hand nehmen muss.

Es ist eine unbekannte, verborgene Welt. Seit den Negativ-Schlagzeilen in den 1990er Jahren ist der Ruf von Scientology bei vielen ramponiert. Dagegen kämpfen die Scientologen an – mit Strassenständen, wo sie Psychotests anbieten und um Mitglieder werben. Häufig sind die Stände nicht mit «Scientology» angeschrieben, sondern mit «Sag nein zu Drogen» oder «CCHR», einem Verein, der die Abschaffung der Psychiatrie fordert.

Warnung vor «Tarnorganisationen»

«Das sind Tarnorganisationen», empört sich Beat Künzi. Er hat zusammen mit seiner Frau einen Verein gegründet, der Scientology das Leben schwer machen will. In einigen Städten haben sie Kontakt zu den Behörden und erfahren im Voraus, wann und wo Scientology einen Stand aufstellt. Sie wollen stören, halten ein Plakat in die Höhe, auf dem steht «Vorsicht Scientology» – mit drei Ausrufezeichen.

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Beat Künzi, Scientology-Gegner, bezeichnet Scientology als «Psycho-Sekte».
Aus News-Clip vom 26.10.2020.
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Wie aber halten es die Künzis mit der Religionsfreiheit? Wieso lassen sie Scientology nicht in Ruhe? «Scientology ist keine Religion», sagt Künzi. «Es ist eine Machtorganisation, eine geldgeile Sekte, eine Psycho-Sekte. Wir warnen, sensibilisieren und klären auf.»

Auch die Politik schaltet auf Angriff. Landrat Yves Krebs (GLP/BL) fordert in einem Postulat ein «sektenfreies Baselbiet». Zunächst will er erreichen, dass Strassenstände der Scientologen nicht mehr bewilligt werden. «Ziel ist es, dass die Sekten einen Bogen um unseren Kanton machen», sagt Krebs. Unterstützung für sein Vorhaben bekam er aus allen Parteien, von links bis rechts.

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Scientology-Sprecher Jürg Stettler und Yves Krebs, Landrat (GLP / BL) führen ein hitziges Gespräch über Sekten.
Aus Rundschau vom 21.10.2020.
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Möglicherweise schafft Krebs damit einen Präzedenzfall fürs ganze Land. Scientology-Sprecher Jürg Stettler graut davor: «Ich rede viel mit Politikern. Aber so radikale Forderungen wie von Herrn Krebs habe ich noch nie erlebt.» Stettler bot dem grünliberalen Politiker an, die Scientology-Zentrale von innen anzuschauen. Dieser lehnt dankend ab. «Da wird ohnehin nur die Schokoladenseite gezeigt.»

Was ist Scientology?

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Immer noch streitet die Politik darüber, ob Scientology eine religiöse Gemeinschaft ist. Einige Länder (USA, Dänemark) haben sich dafür entschieden, andere nicht (Frankreich, Deutschland). Der bayerische Verfassungsschutz bezeichnet Scientology als «gewinnorientierte Organisation, die ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte und damit auch das demokratische System infrage stellt.»

Scientology ist eine religiöse Bewegung, deren Lehre auf den amerikanischen Schriftsteller L. Ron Hubbard zurückgeht. Durch Kurse und Trainings soll der perfekt funktionierende Mensch erschaffen werden. In der Schweiz gibt es fünf sogenannte «Kirchen» - in Basel, Bern, Zürich, Lausanne und Genf. Scientology hat in der Schweiz nach eigenen Angaben 5500 Mitglieder. Der Scientology-Aussteiger Wilfried Handl gibt die Zahl der aktiven Scientologen in der Schweiz mit rund 800 an.

Rundschau, 21.10.2020, 20:05 Uhr

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