Es fällt Andrea Buschor schwer, darüber zu reden. Der Trennungsschmerz ist heute noch da. Auf einmal kamen diese Briefe. Zuerst von der Mutter, handschriftlich, unterzeichnet mit «in Liebe, Mami». Mit einer umständlichen Formulierung, in der es heisst, Andrea umgebe sich mit «unterdrückerischen Personen». Gemeint sind Leute, die gegen Scientology sind. Von diesen wolle sich die Tochter nicht trennen, schreibt die Mutter. «Deshalb habe ich mich entschieden, die Verbindung mit dir abzubrechen.»
Am gleichen Tag ein Brief vom Vater, getippt am Computer. Er kommt gleich zur Sache. Im ersten Satz heisst es: «Ich breche die Verbindung mit Dir ab.» Fünf Wochen später schliesslich die Schwester. Ein Brief, fast mit dem gleichen Wortlaut. Es sieht so aus, als habe jemand die Formulierungen diktiert.
«Wie Napoleon oder Hitler»
Was aber ist eine «unterdrückerische Person»? «Sie ist auch unter der Bezeichnung antisoziale Persönlichkeit bekannt», schreibt Scientology auf ihrer Internetseite. «In dieser Kategorie findet man Napoleon, Hitler, den reulosen Mörder und den Drogenboss.» Die «unterdrückerische Person» trachte danach, Gruppen zu verunglimpfen und schlechte Nachrichten über sie zu verbreiten.
In einem auf gelbes Papier gedruckten Dokument hatte die Scientology-Kirche Basel Andrea Buschor zur «Schwierigkeitsquelle Typ I» erklärt. In einer umständlichen Formulierung heisst es, durch den Umgang mit einer «unterdrückerischen Person» begehe Andrea Buschor selbst eine «unterdrückerische Handlung». Übersetzt heisst das, die junge Frau habe Kontakt zu Scientology-Feinden und werde nun selbst zur Gegnerin der Sekte.
Nach diesem Aufruf zur Ächtung kamen die Abschiedsbriefe. Die Schwester arbeitet bei Scientology in Basel. Andrea Buschor hat sie vom Auto aus in der Stadt gesehen. «Es tut weh, nicht das Fenster zu öffnen und zu fragen, willst du mitfahren?», erzählt sie.
«Wir hatten einfach genug»
Die Eltern von Andrea Buschor sagen gegenüber der «Rundschau», sie seien nicht von Scientology gezwungen worden, die Verbindung zu ihrer Tochter abzubrechen. Die Eltern schreiben: «Es gab ein erhitztes Familientreffen, bei dem Andrea heimlich das Gespräch aufnahm. Wir mussten davon ausgehen, dass sie es ins Netz stellen könnte. Wir hatten einfach genug. Dazu kam, dass Andrea aktiv mit Personen zusammenarbeiten wollte, deren Ziel es war, unsere Religion massiv zu schädigen.»
Andrea Buschor hat die Trennung bis heute schlecht verkraftet. Sie ist psychisch krank, geht in Therapie, lebt von der IV. Aber es gehe bergauf, sagt sie. «Ich habe nicht mehr so viel Angst vor Scientology. Ich bin mehr ich selbst.»
Scientology Basel residiert in einem riesigen Neubau, 2015 eingeweiht, viertausend Quadratmeter gross. Rund hundert Leute seien hier beschäftigt, sagt Scientology-Sprecher Jürg Stettler. Die meisten für einen Lohn in dreistelliger Höhe, ohne Arbeitsvertrag. «Das ist normal bei Vereinen», rechtfertigt sich Stettler. «Da ist viel Idealismus dabei.»
Durch Kurse und Trainings sollen die Scientologen bessere Menschen werden. Das kostet Geld, viel Geld. Je höher die Scientologen in der Hierarchie aufsteigen, desto teurer wird es. Jürg Stettler sagt, er selbst habe bisher in 45 Jahren rund 100'000 Franken an Scientology abgegeben. Dabei hat Stettler in der «spirituellen Entwicklung» erst Stufe 17 von 20 erreicht.
Reinigungsprogramm und Strassenstände
Stettler führt den «Rundschau»-Reporter durch das riesige Gebäude, die Scientologen nennen es «Kirche». Am Empfang eine Dame, die Fieber misst und die genauen Kontaktdaten verlangt. Im Parterre hinter hohen Glasscheiben befindet sich ein Informationszentrum. Auf Schautafeln und Bildschirmen erklären die Scientologen ihre Welt. Zum Beispiel das Reinigungsprogramm, das den Körper stärken soll – mithilfe von Saunagängen und Vitaminen. Oder das E-Meter, das angeblich geistige Widerstände im Körper misst – mit zwei Blechdosen, die man in die Hand nehmen muss.
Es ist eine unbekannte, verborgene Welt. Seit den Negativ-Schlagzeilen in den 1990er Jahren ist der Ruf von Scientology bei vielen ramponiert. Dagegen kämpfen die Scientologen an – mit Strassenständen, wo sie Psychotests anbieten und um Mitglieder werben. Häufig sind die Stände nicht mit «Scientology» angeschrieben, sondern mit «Sag nein zu Drogen» oder «CCHR», einem Verein, der die Abschaffung der Psychiatrie fordert.
Warnung vor «Tarnorganisationen»
«Das sind Tarnorganisationen», empört sich Beat Künzi. Er hat zusammen mit seiner Frau einen Verein gegründet, der Scientology das Leben schwer machen will. In einigen Städten haben sie Kontakt zu den Behörden und erfahren im Voraus, wann und wo Scientology einen Stand aufstellt. Sie wollen stören, halten ein Plakat in die Höhe, auf dem steht «Vorsicht Scientology» – mit drei Ausrufezeichen.
Wie aber halten es die Künzis mit der Religionsfreiheit? Wieso lassen sie Scientology nicht in Ruhe? «Scientology ist keine Religion», sagt Künzi. «Es ist eine Machtorganisation, eine geldgeile Sekte, eine Psycho-Sekte. Wir warnen, sensibilisieren und klären auf.»
Auch die Politik schaltet auf Angriff. Landrat Yves Krebs (GLP/BL) fordert in einem Postulat ein «sektenfreies Baselbiet». Zunächst will er erreichen, dass Strassenstände der Scientologen nicht mehr bewilligt werden. «Ziel ist es, dass die Sekten einen Bogen um unseren Kanton machen», sagt Krebs. Unterstützung für sein Vorhaben bekam er aus allen Parteien, von links bis rechts.
Möglicherweise schafft Krebs damit einen Präzedenzfall fürs ganze Land. Scientology-Sprecher Jürg Stettler graut davor: «Ich rede viel mit Politikern. Aber so radikale Forderungen wie von Herrn Krebs habe ich noch nie erlebt.» Stettler bot dem grünliberalen Politiker an, die Scientology-Zentrale von innen anzuschauen. Dieser lehnt dankend ab. «Da wird ohnehin nur die Schokoladenseite gezeigt.»