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Seilziehen um die Rentenreform 70 Franken und (k)ein bisschen Gerechtigkeit

Mehr AHV für alle: Das ist nur fair und sozial, finden die Befürworter des Modells. Eine Ökonomin legt ihr Veto ein.

Es geht um Geld, Generationen und Gerechtigkeit. 70 Franken mehr AHV für künftige Rentner, 226 Franken für Ehepaare: Damit sollen Lücken bei den Pensionskassen gestopft werden. Dieses Modell hat derzeit die Nase im Ringen um die Rentenform vorn.

Paul Rechsteiner, SP-Ständerat und Präsident des Gewerkschaftsbunds, ist einer der Väter dieses Modells:

Die Lösung ist sozial vertretbar und unter dem Strich positiv für die Bevölkerung.

Die Gerechtigkeitsfrage

«Einspruch!», sagt Monika Bütler, Professorin für Wirtschaftspolitik an der Universität St. Gallen:

Das Modell ist nicht fair, weil es zugunsten einer Generation umverteilt – und gleichzeitig die Schwächsten nicht berücksichtigt.
Ökonomin Bütler während einer Veranstaltung der Universität St. Gallen
Legende: 70 Franken für alle: Solidarität unter den Generationen sieht anders aus, findet Ökonomin Bütler. Imago/Archiv

Angesprochen sind Privilegien für Leute ab 45. Wer zwischen 45 und 65 Jahre alt ist, gehört zur Übergangsgeneration. Diese Jahrgänge fahren gut mit der Reform: Die Monatsrenten bei den Pensionskassen werden Ihnen nicht gekürzt. Dennoch würden sie 70 Franken mehr AHV kriegen.

Die mittlere Generation also hat mit der Reform als Einzige mehr Rente nach der Pensionierung. «Unfair», findet Wirtschaftsprofessorin Bütler: «Für die alten Rentner, die oft auch schon eine Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule haben erdulden müssen, bleibt nichts. Und auch für die Jungen nicht: Denn sie müssen letztlich alles bezahlen.»

Paul Rechsteiner im Ständerat
Legende: Rechsteiner (SP/SG) ist eine der gewichtigsten Stimmen im linken Lager, wenn es um die Rentenreform geht. Keystone

Nicht zu Ende gedacht?

Gewerkschafts-Präsident Rechsteiner widerspricht: «70 Franken mehr AHV» auch für die mittlere Generation seien gerechtfertigt: Denn diese Generation habe sehr wohl Einbussen mit der Reform: «Die Generationen, die jetzt in die Renten kommen, müssen in Kauf nehmen, dass das Frauenrentenalter steigt. Das trifft die Frauen, aber auch ihre Ehemänner. Es ist also ein Ausgleich für diese Nachteile.»

Konsequenterweise müssten auch die heutigen Rentner mehr AHV erhalten, sagt Bütler: Sie hätten häufig besonders bescheidene Pensionskassen-Renten, weil die 2. Säule erst seit 1985 obligatorisch ist: «Es ist ein Dammbruch in der AHV, wenn Rentenverbesserungen erstmals in der Geschichte nicht allen zugute kommen.» So etwas sei in einem Abstimmungskampf nur sehr schwer zu vermitteln, sagt die Wirtschaftsprofessorin.

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Mit dieser Kritik rennt sie offene Türen bei Gewerkschafter Rechsteiner ein: «Ich bin der Erste, der für bessere Renten auch für heutige Rentner eintritt. Hier braucht es mittelfristig einen neuen Anlauf.» Bei dieser Reform sei aber eine höhere AHV auch für heutige Rentner politisch schlicht nicht machbar gewesen.

Eine komplexe Rechnung

Weiter auf der Suche nach Schwachpunkten der Reform. Pointiert gesagt: «Die Allerschwächsten gehen leer aus!» Wer heute sehr wenig verdient, hätte künftig als Rentner nur wenig von 70 Franken mehr AHV. Diesen Leuten nämlich würden einfach die Ergänzungsleistungen gekürzt, um eben diese 70 Franken.

«Sie kommen letztlich auf einen tieferen verfügbaren Betrag, weil die Ergänzungsleistungem im Gegensatz zu den normalen Renten nicht besteuert werden», sagt Bütler. Rund 6 Prozent der künftigen Rentner wären betroffen, heisst es beim Bundesamt für Sozialversicherungen.

Nach der Reform ist vor der Reform?

SP-Ständerat Rechsteiner kann das nicht vom Tisch wischen. Er sagt aber auch: Dank der höheren AHV brauchten künftig weniger Neurentner Ergänzungsleistungen: «Es ist nicht lustig, Ergänzungsleistungen zu beziehen. Es ist eine Form der Kontrolle, die ausgeübt wird. Die Menschen wollen von der AHV und der Pensionskasse leben können, ohne jemandem dafür Rechenschaft geben zu müssen.» Mehr AHV, dafür weniger Ergänzungsleistungen: Alleine das sei ein Gewinn, findet Rechsteiner.

Die Reform hat weitere kritische Punkte: Die Mehrwertsteuer würde spürbar steigen – das trifft Menschen mit kleinem Portemonnaie vergleichsweise stark. Und: Bereits in 10, 15 Jahren würde die Finanzlage der AHV kritisch. Die Politik also müsste bald schon die nächste Reform anpacken – und erneut diskutieren über Geld, Generationen und Gerechtigkeit.

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