«Ich weiss, was du letzten Sommer getan hast» – vor 20 Jahren schockte der gleichnamige Horror-Streifen empfindliche Teenager. Für eine Verfilmung der Sommersession 2017 taugt der Titel aber kaum: Denn die Erinnerung an die letzten drei Wochen Bundesbern dürfte schnell verblassen.
Zu sehr haben sich die Polit-Dramen der letzten Monate in das kollektive Gedächtnis eingebrannt: Auf die Zuwanderungsschlacht folgte der Rentenkrimi, auf die quälend langen Justierungen an der Unternehmenssteuerreform III der spektakuläre Absturz an der Urne. Doch damit nicht genug.
Magistrale Störmanöver
Auch die politischen Turbulenzen der Gegenwart drängten die Sommersession aus den Schlagzeilen. Zu Beginn der Parlamentsberatungen präsentierte Finanzminister Ueli Maurer den Nachfolger der USR III, die Steuervorlage 17; zum Ausklang liess Aussenminister Didier Burkhalter die Bombe platzen: Er tritt im Herbst zurück.
Im Ringen um Aufmerksamkeit stand die Sommersession auf verlorenem Posten. Doch auch inhaltlich war sie eher etwas für Feinschmecker: Statt gestritten wurde gearbeitet, anstelle von Mammutvorlagen dominierten Routinegeschäfte. Kurz: Es schlug die Stunde der Sachpolitiker.
Freundliche Übernahme
Ein Muster der unaufgeregten Arbeitsatmosphäre gab der Ständerat. Die «Chambre de Réflexion» behandelte eine Motion zum Schutz des Schweizer Detailhandels vor dem Einkaufstourismus, und schickte sie zur vertieften Beratung an ihre Kommission zurück. Mit ausgesuchter Höflichkeit.
Motionär Werner Hösli (SVP/GL) bedankte sich für die wohlwollende Prüfung seines Anliegens:
Wie könnte ich als kleiner Ständerat etwas dagegen haben, wenn sich eine so hochdotierte Kommission mit dieser Motion befassen will?
Unklar blieb allein, ob Hösli die Finanz- oder Wirtschaftskommission meinte. Kein Grund zur Beunruhigung, fand Anita Fetz (SP/BS): Sie sei ja in beiden Kommissionen dabei. «Dann ist uns sicher nicht bange, dass das gut herauskommt», witzelte Ständeratspräsident Ivo Bischofberger.
Bundesrätlicher Schulterschluss – mit dem Bär
Die sommerlich entspannte Atmosphäre erfasste sogar eines der emotionalsten Themen im Parlament, die Rückkehr der Grossraubtiere. Der Walliser Nationalrat Franz Ruppen (SVP) wollte wissen, wie der Bundesrat mit dem Bären verfahren wolle, der kürzlich in den Kanton Bern eingewandert ist.
Die Spannung im Ratssaal stieg, doch sie implodierte gleich wieder: Der Jungbär sei absolut unauffällig und menschenscheu, beruhigte Umweltministerin Doris Leuthard. Und er habe auch erst einen «Schadenfall» auf dem Kerbholz – den Leuthard allerdings nicht näher benannte (Medienberichten zufolge soll der Bär im Kanton Uri einen Bienenstand beschädigt haben).
Die ganz alltäglichen Sorgen und Nöte
Das Fehlen der ganz grossen Geschäfte öffnete Raum für kleinere. Sie belegten, dass die «Volksvertreter» ihren Namen nicht umsonst tragen: Die Traktandenliste glich zuweilen dem Sorgenbarometer des kleinen Mannes. Und er darf sich über ein Füllhorn an Entscheiden freuen (respektive aufregen), die seinen ganz normalen Alltag betreffen
- Künftig soll er Bier an Autobahnraststätten kaufen dürfen.
- ...erst mit 75 zur ärztlichen Kontrolluntersuchung für Autofahrer antreten.
- ...auch als Dschihadist von der Kronzeugenregelung profitieren.
- …uniformiert zum Zivildienst erscheinen.
- ...wie gehabt bei der Schweizer Hochseeflotte anheuern können.
- ...weiter seine Pensionskasse auflösen dürfen, um ein Restaurant zu eröffnen (oder nach Thailand auszuwandern).
Dann köchelte es – auf kleiner Flamme
Bei aller Eintracht unter der Bundeshauskuppel: Auch diesmal gab es Reizthemen. Zum Beispiel Donald Trump. Der US-Präsident kündigte am 1. Juni das Klimaabkommen von Paris; wenige Tage später sollte es der Ständerat genehmigen. Eigentlich ein formeller Akt.
Doch die Kantonsvertreter waren auf Krawall gebürstet. «Nach uns die Sintflut», kommentierte Beat Vonlanthen (CVP/FR) «Trumps himmelsschreienden Entscheid»:
Nur unverbesserliche Hinterwäldler erlauben es sich, die menschlichen Ursachen des Klimawandels in Zweifel zu ziehen.
Auch Vonlanthens Ratskollegen feuerten Salven Richtung Washington: Klimaschutz sei eine «Frage der politischen Intelligenz», meinte etwa Roberto Zanetti (SP/SO):
So gesehen erstaunt mich der Entscheid des amerikanischen Präsidenten nicht.
Es blieb ein seltener Moment emotionaler Aufwallung im Stöckli. Im Nationalrat sorgten dagegen zwei der üblichen Verdächtigen dafür, dass der Puls der Parlamentarier hochging: Die Post und die Armee.
Der Gelbe Riese erntete für die Schliessung von Poststellen Kritik. SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner anerbot sich, das Problem auf eigene Faust zu lösen:
Beim Rüstungsprogramm der Armee sorgte die «Erdkampffähigkeit» für rote Köpfe: F/A-18-Jets sollten zu Bombern aufgerüstet werden, die im Ernstfall auch Ziele im Ausland angreifen könnten.
Chantal Galladé (SP/ZH) begegnete den Plänen mit trockenem Sarkasmus:
Sollen wir dann eher Lyon, Turin, Salzburg oder Mailand bombardieren?
Die Dämonen der Vergangenheit
Fazit nach drei Wochen ohne echte Höhepunkte: Im Parlament wurde Politik gemacht, und die ist nicht immer filmreif. Fest steht allerdings schon jetzt: Mit der Besetzung des vakanten Bundesratspostens steht Bundesbern ein heisser Herbst bevor; auch die Volksabstimmung über die Rentenreform 2020 dürfte zur Schicksalfrage werden.
Scheitert nach der USR III auch Bundesrat Bersets Prestige-Projekt an der Urne, werden die Räte bald schon von zwei Dämonen der Vergangenheit heimgesucht: Denn im kommenden Jahr wird bereits der Nachfolger der USR III – die Steuervorlage 17 – eine Ehrenrunde im Parlament einlegen. Die «Rentenreform 2021» könnte folgen.
Immerhin: Die «zinsbereinige Gewinnsteuer» schaffte es nicht in die Steuervorlage 17. Die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter wird’s freuen: