Sexismus in der Medienbranche - Das Ausmass der Affäre beim «Magazin» war weit grösser
SRF-Recherche zeigt: Bei Tamedia wusste die Personalabteilung mehr als bisher zugegeben. Sie war seit spätestens 2014 informiert. Weitere Betroffene erheben Vorwürfe.
Die Schweizer Medienwelt ist in Aufruhr, seit eine Journalistin im deutschen Nachrichtenmagazin «Spiegel» von ihrer Zeit in der Redaktion des «Magazins» berichtet hat. Sie legte ihre Sicht der Dinge dar und schilderte, wie sie von ihrem Chef behandelt wurde. Sie schrieb von einem Regime des Mobbings, sexualisierter Sprache, grenzüberschreitenden SMS.
Das «Magazin» ist Teil der Medien von TXGroup (einst Tamedia AG) und gilt als eines der renommiertesten journalistischen Produkte der Schweiz. Wer dort arbeitet, gehört zu den besten der Branche.
Tamedia: «Vorwürfe bleiben ungeklärt»
In einer Stellungnahme auf die Vorwürfe der Journalistin verweist die Chefredaktion Tamedia auf einen Untersuchungsbericht und hält – zusammengefasst – fest, dass sie erst im Frühjahr 2021 von den Vorwürfen erfuhr.
Stellungnahme von Tamedia und Fazit des Berichts
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«Tamedia erfuhr im Frühjahr 2021 von den Vorwürfen. Der Verlag hat sie zuerst intern geprüft. Es erwies sich, dass Aussage gegen Aussage stand. Daraufhin beauftragte Tamedia eine externe Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung.»
Fazit des Berichts: Seitens des «Magazin»-Chefredaktors seien Fehler passiert. Es ist die Rede von «nicht angebrachtem Verhalten», von grobem, unangemessenen Sprachgebrauch. Man bedaure das zutiefst. Aber, so heisst es weiter: Die Untersuchung gestaltete sich schwierig. Die Journalistin habe zu wenig Beweise eingereicht. Die meisten Vorwürfe könnten nicht belegt werden. In der Folge wurden mehrere Mitarbeitende des «Magazins» befragt. Dazu schrieb die Kanzlei: «Auch die befragten Personen bestätigten die Vorwürfe mehrheitlich nicht resp. verneinten sie.»
Das Fazit der Chefredaktion: «Insofern blieben etliche Vorwürfe ungeklärt und Widersprüche bestehen. Die Kanzlei kam zum Schluss, dass deshalb «die Tatbestände von sexueller Belästigung, Mobbing und Diskriminierung im Wesentlichen zu verneinen» waren.
Dennoch. Die Vorwürfe wiegten schwer, heisst es weiter, man habe sich darum vom Chefredaktor getrennt. Der Bericht habe aber auch dazu geführt, dass man sich von der betroffenen Journalistin habe trennen müssen. Das Vertrauensverhältnis sei nicht mehr gegeben gewesen.
Laut Chefredaktion blieben etliche Vorwürfe ungeklärt und Widersprüche bestehen, auch nachdem weitere Personen befragt worden seien (siehe Box).
HR wusste früher Bescheid
SRF-Recherchen zeigen allerdings: Spätestens ab 2014 wusste die Personalabteilung vom Fehlverhalten in der «Magazin»-Chefredaktion, wie Dokumente, die SRF vorliegen, belegen und mehrere Ex-Mitarbeitende unabhängig voneinander bezeugen.
Wie SRF recherchierte
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SRF hat für diese Recherche Personen befragt, die heute in Personalabteilungen von grossen Unternehmen arbeiten, für bekannte Medien-Titel schreiben oder Kommunikationsabteilungen von bedeutenden Institutionen leiten. Darum sind die Namen aller Beteiligten auf deren Wunsch anonymisiert. Die Recherchen wurden zudem schriftlich geführt. Aus den Schriftstücken wurde mit Zustimmung der Betroffenen zitiert.
Auch auf die Erwähnung der Namen der Beteiligten wurde verzichtet. Sie sind aus früherer Berichterstattung und der Redaktion bekannt.
Die Rede ist von einem toxischen Klima auf der Redaktion. Von hartem Mobbing, Ausgrenzung, Willkür, heftigen Wutausbrüchen und sexualisiertem Verhalten. Betroffen waren mehrere Personen über Jahre. Die Unterlagen zeigen auch: Die Betroffenen haben sich gewehrt und das Gespräch gesucht. Mit der Chefredaktion und Personalabteilung.
Was eine betroffene Person berichtet
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«In einem langen Mail an X vom HR, erklärte ich den Begriff ‹Charakterlump› dann sehr ausführlich, indem ich beschrieb, wie der Chefredaktor damals mit Psychospielen ein Klima der Angst erzeugte, wie er in Einzelgesprächen über Kollegen und Kolleginnen herzog, sie heruntermachte, jede und jeder wusste, dass er beim nächsten Gespräch hinter der nächsten Türe dann dran war mit solchen Diffamierungen, wie er – nur um ein Beispiel zu nennen – die psychische Erkrankung eines Kollegen in allen Farben schilderte und die Medikamente nannte, die der Kollege zu sich nehmen musste und schliesslich darauf hinwies, dass besagter Kollege ihm im Extremfall zwei Jahre auf der Payroll sitzen würde. Ich schilderte in meinem E-Mail das sexualisierte Verhalten des Chefs und seine obszöne Sprache, und dass ich immer wieder weinende Kolleginnen angetroffen hatte. Ich wusste, dass andere, die vor mir gegangen waren, Gespräche mit dem HR geführt hatten, und dort dargelegt hatten, warum sie gingen, wegen den Herabwürdigungen durch den Chef. In meinem Schreiben an X schloss ich, sie wüsste sicher, wie mit diesen Infos zu verfahren sei. Schliesslich gebe es eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.»
Es wurde zugehört. Aber unternommen wurde nichts.
Notizen zum Treffen mit der verantwortlichen HR-Person (Auszüge)
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Dass die oben erwähnten Vorwürfe damals keine Folgen hatten, zeigt folgendes Beispiel. Es handelt sich um ein Treffen mit der verantwortlichen HR-Person. Wir zitieren aus Notizen:
27. Mai 2014, 19 Uhr, anwesend Y (vom HR), W, V, U., Traktandenliste:
Umgang Chefredaktor mit Redaktionsmitgliedern
Krasses Vorgehen des CR gegen W
Frage, ob Chefredaktor noch fähig ist, «Magazin» zu führen.
Eine teilnehmende Person hat das Fazit des Abends in ihrem Notizbuch mit folgenden Worten festgehalten: «Ernüchternd – illusionslos».
Drei von vier Personen haben auf Nachfrage ihre Teilnahme bestätigt. Eine Person wollte nicht antworten, trotz mehrerer Anfragen.
SRF liegen weitere Aussagen und E-Mails anderer Mitarbeitenden vor, die das Bild bestätigen.
Zu weiteren Untersuchungen bereit
Mit den Details der SRF-Recherchen konfrontiert, antwortet Tamedia:
«Im aktuellen Fall rund um zwei ehemalige Mitglieder der
‹
Magazin
›
-Redaktion, in dem es leider zu einem Gerichtsverfahren gekommen ist, vertrauen wir darauf, dass der teilweise lang zurückliegende Sachverhalt nochmals geklärt und darauf gestützt eine gerechte Lösung gefunden wird. Falls sich – auch unabhängig von dem Gerichtsverfahren – zu dem aktuellen Fall neue Fakten ergeben, wird Tamedia diese selbstverständlich untersuchen.»
Es geht auch anders bei Tamedia
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Tamedia hat in den vergangenen vier Jahren immer wieder Wille und Bereitschaft zur Aufarbeitung und Veränderung gezeigt. Etwa als im März 2021 ein Brief publik wurde, in dem 78 Journalistinnen gegen die sexistische Arbeitskultur bei ihrem Arbeitgeber Tamedia protestiert haben. Das Schreiben ist nach wie vor öffentlich einsehbar und direkt an die Geschäftsleitung adressiert.
Tamedia hat seither in die Frauenförderung investiert, mit dem Ziel, den Anteil an Frauen in den Führungsstufen zu erhöhen. Es wurde eine Kommission gebildet, mit dem Ziel, einen langfristigen Kulturwandel zu bewirken. Zudem wurden Vertrauenspersonen in den Redaktionen ernannt, welche als niederschwellige Anlaufstellen für Betroffene dienen. Werden Vorwürfe laut, werden sie untersucht.
Der beschuldigte Chefredaktor hat sich vor wenigen Tagen in einem Brief geäussert, der in verschiedenen Medien veröffentlicht wurde. Darin weist er die Vorwürfe, welche im «Spiegel» zu lesen waren, grösstenteils zurück.
«Nachdem bekannt geworden war, dass nach den internen Untersuchungen nun ein externes, spezialisiertes Büro beauftragt wurde, hätten sämtliche meiner Redaktionskolleginnen und -kollegen, sowie die Praktikantinnen der letzten Jahre einen Brief an den Verleger geschickt. Sie schrieben, die Vorwürfe der Journalistin seien absurd. Sie hätten nie eine Form von Mobbing von mir, ihr oder anderen gegenüber erlebt.»
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