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Sexuelle Belästigung Expertin: «Hochschulen sind anfällig für sexuelle Gewalt»

Auch Hochschulen erleben immer wieder Diskriminierung und sexuelle Gewalt. Ein nationaler Tag soll nun sensibilisieren.

«Man kann sich noch so fortschrittlich geben – es scheint an Hochschulen nach wie vor Probleme zu geben.» «Sexuelle Belästigung macht nicht Halt vor der Hochschule.» «Es sind manchmal kleine Sachen im Alltag, die passieren, die nicht erwünscht sind.»

Das sind Aussagen von Studentinnen und Studenten aus einer kurzen SRF-Umfrage an der Universität Luzern. Sie zeigen: Sexismus und sexuelle Belästigung sind auch in der Schweizer Hochschullandschaft eine Realität. Heute findet der erste nationale Sensibilisierungstag (Sexual Harassment Awareness Day) der Schweizer Hochschulen statt. Der Anlass wird koordiniert von der Universität Luzern und umfasst Workshops, Informationsstände und ein Theater.

Stand mit infomaterial an der Uni Luzern
Legende: Der Aktionstag an der Universität Luzern gegen sexuelle Gewalt soll insbesondere der Sensibilisierung dienen. SFR/BARBARA ANDERHUB

Für den Tag verantwortlich ist Pia Ammann. Sie leitet die Fachstelle für Chancengleichheit an der Universität Luzern und benennt mehrere Faktoren, die sexuelle Belästigung im Hochschulumfeld begünstigen: «Hochschulen sind sehr hierarchisch organisiert. Die Macht ist ungleich verteilt und es gibt Abhängigkeitsverhältnisse.» Sie denke da an Abhängigkeiten zwischen Studierenden und ihren Dozierenden oder an Doktorierende und ihre Betreuungspersonen. «Solche Hierarchien und Abhängigkeiten machen Unis verwundbar.»

Sexuelle Belästigungen gehen eher von Männern aus und richten sich an Untergeordnete.
Autor: Pia Ammann Fachstelle für Chancengleichheit an der Universität Luzern

An den Hochschulen seien generell mehr Männer als Frauen in Führungspositionen. Ammann: «Es ist erwiesen: Sexuelle Belästigungen gehen eher von Männern aus und richten sich an Untergeordnete.» Zudem steige das Risiko sexueller Belästigung an Orten mit wenig Diversität in den Führungspositionen. Oft fehle das Wissen zum Thema und deshalb müssen sich Vorgesetzte Gedanken machen über den Umgang im Team.

Hohe Dunkelziffer in der Schweiz

Auch für Andrea Zimmermann, Geschlechterforscherin an der Universität Basel, braucht es einen Kulturwandel. Auf der Führungsebene der Hochschulen brauche es eine klare Haltung gegen sexuelle Gewalt, nötig seien Trainings, sowie Konsequenzen und Sanktionen für die Täter.

Während in einer Studie aus den USA ein Viertel der befragten Studentinnen angab, sexuell belästigt worden zu sein, fehlten in der Schweiz konkrete Zahlen. «Wir haben keine verlässliche Datenbasis, wenn wir die Schweiz ansprechen», sagte Zimmermann. Die Zahlen von Meldungen bei hochschulinternen Anlaufstellen seien zwar tief, die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein.

Unterlagen und ein Laptop stehen auf einem Tisch an der Uni.
Legende: Mit Informationsständen, Workshops und Interviews mit verschiedenen Leuten aus dem Hochschulumfeld wird das Thema beleuchtet. SRF/BARBARA ANDERHUB

Der nun lancierte Aktionstag soll der Sensibilisierung dienen, die Projektleiterin hat aber auch konkrete Forderungen. Pia Ammann: «Wichtig ist, dass es an allen Hochschulen Anlaufstellen gibt, an die sich Opfer sexueller Gewalt wenden können.» Wichtig sei, dass es einen Ort gebe, wo man schnell und diskret Hilfe bekomme und die Anliegen ernst nehme. In Luzern gebe es seit 10 Jahren eine solche Anlaufstelle. Die Leute seien unter Schweigepflicht und es gebe schnell Unterstützung. Zwar werde die Anlaufstelle wenig konsultiert, aber jede Beratung sei wertvoll.

«Dranbleiben ist wichtig»

Ammann hofft, dass in Zukunft regelmässig solche Sensibilisierungstage an Hochschulen stattfinden werden. Die Kampagne ist Teil des Projekts «Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit in der Hochschulentwicklung» der Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, das noch bis 2024 dauert. Wichtig sei dranzubleiben: «Hochschulen werden gerne als Ort des Fortschritts, der Aufklärung und der Innovation wahrgenommen. Dies ist eine etwas verklärte Sicht», so Ammann.

SRF 1, Regionaljournal Zentralschweiz, 23.03.2023, 17:30 Uhr ; 

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