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Sicherheitsstudie der ETH Nato, Neutralität, Armee: So denkt die Schweiz über Sicherheit

Angesichts des Krieges in der Ukraine können sich mehr Schweizerinnen und Schweizer eine Annäherung an die Nato vorstellen. Trotz Krieg und Krisen ist der Blick in die Zukunft optimistischer als auch schon. Die wichtigsten Punkte der ETH-Sicherheitsstudie.

Krieg in der Ukraine treibt Schweizerinnen und Schweizer näher an die Nato: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine steigert die Kooperationsbereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer. Zu diesem Schluss kommt die diesjährige Studie «Sicherheit 2023» vom Januar, der Militärakademie (Milak) und des Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. So befürwortet eine Mehrheit von 55 Prozent der Befragten eine Annäherung an die Nato. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als noch im Januar 2021. Eine knappe Mehrheit findet, dass die Neutralität das zulässt.

Das sei typisch, sobald eine Krise im nahen Umfeld der Schweiz stattfinde, sagt Mitautor Tibor Szvircsev Tresch von der Milak: «Das hat damit zu tun, dass man den Glauben an die eigene Verteidigungsfähigkeit, welche auch natürlich mit der Neutralität verbunden ist, etwas verloren hat.» Lediglich ein Drittel der Befragten will jedoch, dass die Schweiz der Nato beitritt.

Studie «Sicherheit 2023»

Neutralität wird kritischer betrachtet, bleibt aber breit abgestützt: Hinter der Neutralität standen mit 91 Prozent sechs Prozentpunkte weniger als in der Vorjahresstudie. Eine knappe Mehrheit unterstützte weiterhin die differenzielle Neutralität, wonach die Schweiz bei politischen Konflikten klar Stellung bezieht, bei militärischen aber neutral bleibt. Das Bedürfnis nach einem klaren Stellungsbezug auch bei Kriegen wuchs indessen von 18 Prozent im Januar 2021 auf aktuell 27 Prozent der Studienteilnehmer. Die Einschätzung der Neutralität als Schutzfaktor sank im Vorjahresvergleich deutlich von 69 auf 55 Prozent.

Armee gewinnt an Rückhalt

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Die Armee befanden 78 Prozent der Befragten für notwendig. Das sind drei Prozentpunkte mehr als im Januar 2022. Die Vollausrüstung des Militärs fand ebenfalls eine deutliche Mehrheit. Die Meinung, dass die Schweiz zu wenig Geld für die Verteidigung ausgibt, war weiter verbreitet als im Januar des Vorjahres. Gegenüber dem Juni 2022 sank der Support für ein höheres Armeebudget indessen.

Zukunftsaussichten trüben sich etwas: 81 Prozent der befragten Stimmberechtigten prophezeiten der Schweiz im Januar eine positive Zukunft. Das waren fünf Prozentpunkte weniger als im Januar 2022 vor dem Ausbruch des Kriegs. Die Zuversicht für die Welt sank im Vorjahresvergleich um sieben Prozentpunkte. Nur noch 24 Prozent blickten optimistisch in die globale Zukunft.

Schweizer fühlen sich besser als in früheren Jahren: Interessant ist aber, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer heute besser fühlen als in früheren Jahren. Gerade während den Jahren 2014 bis 2016 zeigten die Sicherheitsberichte aus heutiger Sicht teils Überraschendes. Während sich zuletzt 94 Prozent der Befragten im Allgemeinen sicher fühlen, waren es 2016 insgesamt 86 Prozent. Auch der Blick in die Zukunft macht heute weniger Angst als früher: 2016 waren 75 Prozent optimistisch, in der letzten Umfrage waren es 81 Prozent. Dies mag überraschen angesichts der Tatsache, dass ein Krieg rund 2000 Kilometer von der Schweiz entfernt stattfindet und jüngst eine Pandemie mit weitreichenden Folgen die Schweiz und Europa durchgeschüttelt hat. Zum Vergleich: In den Jahren 2014 bis 2017 litt Europa unter anderem an der Euro- und der Flüchtlingskrise. 

Überstandene Krisen machen Bevölkerung optimistischer

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Trotz eines Krieges in Europa und einer erst kürzlich durchgestandenen Pandemie blicken die Schweizerinnen und Schweizer optimistischer in die Zukunft als in früheren Jahren. Studienmitautor Tibor Szvircsev Tresch erklärt sich das mit einer gewissen Krisenresilienz der Bevölkerung. «Wir haben eine Krise durchgemacht und sind nicht auseinandergebrochen als Gesellschaft.» Dies gebe der Gesellschaft wiederum die Zuversicht, dass man auch die nächste Krise bewältigen kann, so Tresch.  

Auch Politologe Lukas Golder, Co-Leiter von gfs.bern, erklärt sich den anhaltenden Optimismus in Kriegszeiten mit einem kollektiven Resilienz-Gefühl. Nach diesem komme die Schweiz schneller und besser aus Krisen heraus als andere Länder. Anfang der Nullerjahre habe in der Schweiz nach der Arbeitslosigkeitskrise der 1990er-Jahre noch verbreitet Angst vor einer Wirtschaftskrise geherrscht. «Da genügte das Platzen der ersten Internet-Blase und die Stimmung im Land kippte», so Golder. Von der Finanzkrise ab 2008 sei die Schweiz dann unmittelbar betroffen gewesen. Trotz der düsteren Szenarien habe sich diese aber kaum im Alltag spürbar gemacht. «Generell betrafen die Krisen seit dem Jahr 2000 die Schweiz meist weniger schlimm als die Nachbarländer oder als befürchtet wurde. Daran hat man sich gewöhnt», sagt Golder.

Selbst beim Blick noch weiter zurück in die Vergangenheit ist ein Vergleich mit heute überraschend: Das Lebensgefühl ist heute immer noch besser als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Im Sicherheitsbericht 2002 gaben 86 Prozent der Befragten an, sich «sehr sicher» oder «eher sicher» zu fühlen.

Vertrauen in die USA steigt

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Das Vertrauen in ausgewählte Staaten erhoben die Studienverfasser letztmals im Januar 2019. Im Vergleich zu damals hatten die Befragten deutlich mehr Vertrauen in die USA. Das Vertrauen in die Nachbarstaaten blieb hoch. Auffallend deutlich fiel hingegen der Vertrauensverlust gegenüber der autoritär regierten Staaten Russland, China, Iran und Nordkorea aus.

Tagesschau, 16.03.2023, 12:45 Uhr ; 

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