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Single- statt «Heiratsstrafe»? Alleinstehende fühlen sich von der Politik im Stich gelassen

Bisher war es eine Black Box – jetzt beleuchtet ein neuer Bericht des Bundes erstmals die wirtschaftliche Situation der Alleinstehenden.

Es ist Wahljahr. Die Parteien rücken sich ins beste Licht, unter anderem mit Familienpolitik und der Abschaffung der sogenannten «Heiratsstrafe». Sich für Familienthemen einzusetzen, scheint politisch sexy zu sein. Doch wer bezahlt dafür? Es ist auch der Teil der Bevölkerung, der allein lebt, keine Kinder hat und nicht verheiratet ist.

Gemäss dem Bundesamt für Statistik gibt es in der Schweiz rund 3.9 Millionen Privathaushalte. In mehr als einem Drittel dieser Haushalte lebt nur eine Person, das entspricht 17 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung.

Alleinlebende haben keine Lobby

Rund jede sechste Person lebt also allein – wie es dieser Gruppe finanziell geht, war bisher gar nicht so klar. Eine Statistik fehlte, wohl auch darum, weil Alleinlebende schlicht keine Lobby haben.

Illustration mit vielen Häuschen. Ein Teil davon ist rot markiert. Sie stehen für die Single-Haushalte.
Legende: 17 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung lebt in einem Single-Haushalt. SRF

Die einzige Ausnahme: der Verein «Pro Single Schweiz» und seine Präsidentin Sylvia Locher. Seit 27 Jahren ist die Neupensionärin im Verein, seit zehn Jahren als Präsidentin. Sie setzt sich für die Interessen derer ein, die ledig sind, allein leben – ob extra oder nicht.

Locher kritisiert, es werde immer nur zwischen Ehe und Konkubinat verglichen, von der Heiratsstrafe gesprochen. Ledige aber würden von der Politik ausser Acht gelassen. Dabei seien sie es, die am meisten bezahlten, ja gar die Gesellschaft querfinanzierten.

Kritik an Ungleichbehandlung

Da seien einerseits die höheren Lebenshaltungskosten, die Miete, die nicht geteilt werden kann, Gebühren, die im Haushalt anfallen, und keinerlei Vergünstigungen, von denen Familien profitierten.

Es gebe andererseits aber auch eine Ungleichbehandlung bei Steuern und Sozialversicherungen. Alleinstehende werden zu einem höheren Tarif als Verheiratete besteuert. Man müsse also eher von einer Singlestrafe sprechen als von einer Heiratsstrafe.

Bei der AHV würden kinderlose Alleinstehende gleich viele Prämien bezahlen wie Familienväter, obwohl sie niemanden mitversichern können. Bei den Pensionskassen blieben pro Jahr Millionen Franken von Alleinstehenden ohne Kinder liegen, die bei ihrem Ableben niemanden begünstigen können. Und eine Erbschaftssteuer werde innerhalb der Ehe nicht erhoben – auf Vermögen von kinderfreien Ledigen aber schon.

Eine Frau spaziert mit einem Regenschirm durch ein Feld.
Legende: Im Regen stehen gelassen? Der Verein «Pro Single Schweiz» übt Kritik an der Ungleichbehandlung von Alleinstehenden im Vergleich zu Ehepaaren und Familien. Keystone/WALTER BIERI

Locher empfindet diese unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Lebensmodelle als ungerecht und hat sich an die Politik gewandt. Genauer an Ständerat Andrea Caroni. Der Appenzeller Freisinnige gesteht ein, dass die Politik zu wenig auf die Alleinstehenden eingeht. Im Fokus stünden immer Familien, vor allem wegen der Kinder, oft auch Ehepaare, so Caroni, «aber die Alleinstehenden haben – so glaube ich – eine relativ schwache Lobby.»

Erstmals Bericht zu Alleinlebenden

Caroni wollte Licht in die finanzielle Blackbox der Alleinlebenden bringen und hat durch eine Interpellation einen Bericht zu deren wirtschaftlichen Situation veranlasst. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat den mit 17 Seiten eher überschaubaren Bericht vor Kurzem veröffentlicht.

BSV-Bericht stellt erhöhtes Armutsrisiko bei Alleinstehenden fest

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Der Bericht hält unter anderem fest: «Die Wahrscheinlichkeit, sich in einer Situation mit (sehr) geringen finanziellen Mitteln zu befinden, ist über alle Alterskategorien hinweg für Alleinlebende im Vergleich zur Gesamtbevölkerung höher.»

Alleinlebende können im Vergleich zu Paarhaushalten (Konsensual- oder Ehepaar) nicht von Skaleneffekten (z. B. bei der Miete oder anderen Ausgaben) profitieren. Im Falle eines Ereignisses, das sich negativ auf die finanzielle Situation des Haushalts auswirkt, steht in der Regel kein zweites Einkommen als Ersatz zur Verfügung.

Bei den Erwerbstätigen zeigt sich, dass Alleinlebende im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt zwar gleich häufig Vollzeit , aber deutlich seltener Teilzeit arbeiten.

Verglichen mit anderen Haushaltstypen verfügen die Alleinlebenden über ein höheres Medianäquivalenzeinkommen (64'934 CHF) als Einelternhaushalte (47'197 CHF) oder Paare mit Kindern (60'255 CHF). Paare im Erwerbsalter ohne Kinder (83'116 CHF) haben hingegen ein bedeutend höheres Einkommen.

Im Rentenalter sieht die Situation anders aus. Hier verfügen nur die Alleinlebenden über ein tieferes Medianäquivalenzeinkommen (51'173 CHF) als die Gesamtbevölkerung. Paare mit Kindern (68'868 CHF) und Paare ohne Kinder (64'253 CHF) sind bessergestellt.

Einpersonenhaushalte weisen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung und insbesondere im Vergleich zu Paaren (mit oder ohne Kinder) ein eher moderates Niveau an Nettovermögen (d. h. nach Abzug der Schulden) auf.

Im Vergleich verfügen Paarhaushalte über ein drei- bis fünfmal höheres Median-Nettovermögen, was darauf hindeutet, dass Alleinlebende weniger Vermögen aufbauen können oder wollen.

Bei den Gruppen, die Leistungen der Sozialversicherungen beziehen (Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen zur AHV, Renten der Invalidenversicherung und Hinterlassenenrente), sind Alleinlebende übervertreten. Während 67 Prozent der Sozialhilfebeziehenden allein leben, sind es 80 Prozent der Ergänzungsleistungsbeziehenden, 52 Prozent der IV-Beziehenden und 55 Prozent der Witwen und Witwer mit Hinterlassenenrente.

Wenn auch politische Handlungsempfehlungen im Bericht fehlten, so sei er zumindest ein erster Schritt für mehr Anerkennung der Alleinlebenden und ihrer finanziellen Lage, so Locher. «Wir wollen nicht mehr zahlen und leisten müssen. Wenn wir wenig beanspruchen, wollen wir auch weniger zahlen». Die Menschen, die allein leben, wollen in erster Linie ganz einfach die gleichen Rechte, eine Gleichstellung aller Lebensmodelle.

Der Bericht des Bundesamts für Sozialversicherungen zum Nachlesen

10 vor 10, 10.05.2023, 21:50 Uhr

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